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Neumann, Sarah; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Der gerichtliche Zweikampf: Gottesurteil, Wettstreit, Ehrensache — Mittelalter-Forschungen, Band 31: Ostfildern, 2010

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https://doi.org/10.11588/diglit.34909#0144

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IV.3 Treubrüche: Verrat

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sind von diesem Zeitpunkt an also von Rechts und Gerechtigkeit wegen vorprogram-
miert; Konrads lapidares Schlusswort unterstreicht dies nochmals: So wort dm Mütrmwe
gesdwu&t. / dd wd s? doz det oereudet.^
Der gerichtliche Zweikampf gewinnt hier seinen eigentlichen Sinn erst durch die
Rückbindung an den guten und gottesfürchtigen Herrscher: Ist dessen Position durch
verräterische Handlungen bedroht, bringt das ducdow nicht nur Wahrheit oder Lüge an
den Tag, sondern sichert und rechtfertigt vor allem die Stellung dieses Herrschers als
Exponent der Rechtsordnung.

IV.3.2 Realpolitik: fingierte Verratsvorwürfe und Zweikampfgebote
Im eben dargestellten erzählerischen Modell steht der Herrscher also für die idealtypi-
sche Verbindung von irdischem Recht und göttlicher Gerechtigkeit. Er gewährleistet
somit die Funktionsfähigkeit des düdlMW. Jedoch kulminieren Verratsvorwürfe nicht
grundsätzlich in einem Abgesang auf den gerechten Herrscher. Vor allem in chronika-
lischen Quellen steht er oft genug selbst im Zentrum der Kritik, sei es, dass er unver-
hältnismäßig hart reagiert und gerade nicht Gnade vor Recht ergehen lässt; sei es, dass
er den falschen Fraktionen Gehör schenkt oder sich als überaus parteiisch erweist/^ Der
Verratsvorwurf und das dudlMW beziehen in diesen Fällen ihre Schlagkraft nicht aus
der Rückbindung an Recht und Gerechtigkeit, sondern aus ihrer Indienstnahme für die
Tagespolitik.
Geprägt ist das aktuelle politische Geschehen, so scheint es, vor allem durch zwei
Faktoren: Neid und Misstrauen. Das Ideal der klar hierarchisch strukturierten Herr-
schaftspyramide wird in einem großen Teil erzählender Quellen einerseits überlagert
von dem Zerrbild einer Gesellschaft, in der um die Nähe zum Herrscher gebuhlt wird,
in der somit jeder Aufsteiger eine Bedrohung, jeder Verlierer hingegen einen potentiel-
len Konkurrenten weniger darstellt. Der Herrscher ist andererseits nicht allein der Fix-
stern, um den die Vasallen kreisen, sondern selbst im höchsten Maße abhängig von den
Fraktionen, die ihn stützen oder schwächen. Im durch Treuegelöbnisse konstituierten
Herrschaftsgefüge regiert also das Misstrauen und kein Vorwurf ist gleichermaßen ver-
heerender und effektiver als der Verratsvorwurf, der die Verbindung zwischen Herr
und Vasall zersetzt. Zur rechten Zeit und am rechten Ort vorgebracht, kann er den zu
hoch Gestiegenen im passenden Moment zu Fall bringen. Dies kann eine historiogra-

746 Pfaffe Konrad: Rolandslied, V. 9016.
747 Mitunter kann der Herrscher selbst als Zerrbild der Idealvorstellung erscheinen und - insbe-
sondere in literarischen Entwürfen - als Erzverräter dargestellt werden; vgl. z. B. die mittel-
englische Romanze Torrent o/ Porti/nyo/e aus dem späten 15. Jahrhundert: Nachdem Torrent
eine Reihe von Zweikämpfen für den König Calamond bestanden hat, verheiratet der König
seine Tochter gegen die Abmachung an einen anderen und schickt Torrent in einen, wie er
hofft, tödlichen Kampf. Torrent überlebt und verklagt den König des Verrats. Im folgenden
gerichtlichen Zweikampf versucht Calamond erneut, den Helden zu übervorteilen, und nomi-
niert den gefährlichen Riesen Cate, den Torrent jedoch ebenfalls überwindet und damit den
Weg für das glückliche Ende frei macht. - Vgl. Torrent of Potyngale und dazu HiBBARD: Me-
diaeval Romance, S. 279-282. - Ein Beispiel aus der skandinavischen Chronistik bietet das
Chronicon Lethrense, Kap. 6, S. 50-51 (König Snyo schickt seinen Kritiker Roth auf die Insel
zu dem Riesen Lee).
 
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