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Neumann, Sarah; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Der gerichtliche Zweikampf: Gottesurteil, Wettstreit, Ehrensache — Mittelalter-Forschungen, Band 31: Ostfildern, 2010

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https://doi.org/10.11588/diglit.34909#0143

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142

IV. Warum? - Delikte und Konflikte

Tirrich tritt an, um seinen Verwandten von jedem Vorwurf rein zu waschen, um seinen
Herrn, den König, zu verteidigen^ und, dies verdeutlicht Konrad in seiner Bearbei-
tung, um Gott und der Christenheit zu ihrem Recht zu verhelfen/^ Der Verrat Geneluns
muss also in erster Linie als Angriff auf die durch Karl verkörperte göttliche Herr-
schaftsordnung verstanden werden; im gerichtlichen Zweikampf, der alle Fassungen
der Roland-Sage beschließt/" wird der ausgleichenden Gerechtigkeit zum Zuge verhol-
ten und somit die von Gott gesetzte Ordnung endgültig wiederhergestelltV Diese Wie-
derherstellung der Ordnung erfordert jedoch auch, dass der Weg zu ihr, d. h. der ge-
richtliche Zweikampf, ebenfalls korrekt abläuft. So orientieren sich die Dichter bei ihrer
Darstellung des Verlaufs der Auseinandersetzung zwischen Binabel und Tirrich alle-
samt an den rechtlichen Reglements für das Geiseln werden gestellt; ein
Schiedsrichter hat den Verlauf des Kampfes zu überwachen und Einflussnahme seitens
der Zuschauer wird bei Todesstrafe untersagt/" Im Zentrum der Kampfesvorbereitun-
gen und des Kampfes selbst steht jedoch die Personalunion von Gott, dem Reich und
Karl dem Großen, die Einheit von Gerechtigkeit und Recht. In der Bearbeitung des Stof-
fes durch den Pfaffen Konrad wird dies besonders dadurch verdeutlicht, dass nicht -
wie in der altfranzösischen Vorlage - die frommen Übungen der Kombattanten erwähnt
werden/"' sondern stattdessen Karl der Große selbst die spirituelle Vorbereitung auf
den Kampf übernimmt, auf die Knie fällt und als eine Art >Vorbeter< alle anderen dazu
anleitet, Gott um seinen Beistand für das Reich und damit auch für ihn selbst zu bit-
ten/" Mit diesem Demutsgestus beruft sich der verratene Kaiser auf Gott, seinen letzten
und stärksten Rückhalt. Als Opfer einer treulosen Handlung erneuert er nun seiner-
seits das Treueversprechen seinem Herrn und Gott gegenüber und stabilisiert so noch
vor dem eigentlichen Kampf seine gefährdete Position. Konrad schließt jedenfalls von
dieser Episode auf den Ausgang der Auseinandersetzung Tirrichs mit Binabel: 77077 rech-
te 777Mse 7777 woi gdmgg?;/" Die folgende Niederlage Binabels und die Bestrafung Geneluns

738 Vgl. Chanson de Roland 2, Str. 277 V. 3815-3837 bes. V. 3824-3828: Je savez vos ;;ae :aaif vos ai
servil. / Par aaceisars die jo lei piaif feair; / Q:7e <?ae Roüaaf a Gaeaeiaa/orsjesisf, / Vosire servise Pe77
doäsf ta'ea gaarir.
739 Vgl. Pfaffe Konrad: Rolandslied, V. 8823-8843, hier bes. V. 8840-8843: icir aa'i dar/; gof Lade ^erae
aecirfe / :777t ?oiü 777:'! 777 i777e s?oerfe / di ?variraif erirerfe / ia des ireiiigia Crisfes 77a 777 e77. - Konrad betont
daher auch den Gottesurteilscharakter des gerichtlichen Zweikampfes indem er Tirrich auf
das David vs. Goliath-Motiv Bezug nehmen lässt; vgl. Pfaffe Konrad: Rolandslied, V. 8846-
8850: da hi scaia ?oir 777e Ae; / Daaid ?oas ad iafzeier gescaff; / gof seihe gap aae di cra/f / daz er Goiie daz
iroahif ade siac / aaf/ar dea ciraac Saaie frac.
740 Vgl. Chanson de Roland, V. 3705-4002; Pfaffe Konrad: Rolandslied, V. 8729-9016; Der Stricker:
Karl der Große, V. 11621-12189.
741 Vgl. ScHMiDT-WiEGAND, Ruth: Prozeßform und Prozeßverlauf, S. 3.
742 Die verschiedenen Bearbeitungen des Rolandsliedes können als Rechtserkenntnisquellen die-
nen, obgleich die rechtlichen Vorschriften nicht eins zu eins abgebildet werden, sondern der
prozessuale Rahmen als grobes Raster für die Handlungsstruktur genutzt wird; vgl.
ScHMiDT-WiEGAND: Prozeßform und Prozeßverlauf, S. 5.
743 Vgl. Chanson de Roland 2, Str. 280, V. 3858-3872.
744 Vgl. Pfaffe Konrad: Rolandslied, V. 8881-8886: der Kaiser aiei siae aeaie; / er hat aiie die Taeaige, /
daz si gof/iefea / daz er daf ricire gerfe, / daz er siae fageafe hescaiafe / aal di recirfea ?variraif aafer ia
erzaiefe. - Dieses Motiv wird häufiger verwendet; vgl. z.B. Karls Gebete vor dem Kampf in der
der Chanson de Roland 2, Str. 226, V. 3096-3109; Pfaffe Konrad: Rolandslied, V. 7903-7930 so-
wie in weiteren Werken der Karlsepik wie z. B. Karl und Galie, V. 4000-4017 und 5519-5539.
745 Pfaffe Konrad: Rolandslied, V. 8896.
 
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