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Neumann, Sarah; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Der gerichtliche Zweikampf: Gottesurteil, Wettstreit, Ehrensache — Mittelalter-Forschungen, Band 31: Ostfildern, 2010

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https://doi.org/10.11588/diglit.34909#0036

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11.1 Gerichtshoheiten

35

der Rechte gegenüber sowie verschiedenen Rechtstraditionen, die in unterschiedlichen
Mischungsverhältnissen in den Quellen begegnen.^ Folgerichtig ist auch die Position
des gerichtlichen Zweikampfes im Rechtsgefüge stets neu zu verhandeln. Doch an wel-
cher Größe orientieren sich diese Bestimmungsversuche? Gehorchen sie vordringlich
dem Diktat der Zeit oder erproben sie die Grenzen juristischer (Spiel-)Räume? Eine ein-
deutige Standortbestimmung des gerichtlichen Zweikampfes im mittelalterlichen Recht
kann an dieser Stelle nicht erbracht werden, sondern nur eine an den gerichtlichen Ob-
rigkeiten orientierte Sammlung der entsprechenden und möglicherweise variierenden
Positionszuweisungen, ergänzt um einen vorläufigen Antwortversuch auf die Frage, ob
die jeweilige Gerichtshoheit oder der >Zahn der Zeit< konstitutiv ist für die Bedeutung
des gerichtlichen Zweikampfes.^

11.1.1
Greifbar und analysierbar wird das erst mit seiner schriftlichen Fixierung in
den frühmittelalterlichen LegesA Da diese frühesten Zeugnisse gern herangezogen
wurden, um einerseits die archaischen Wurzeln und andererseits die Verchristlichung
des gerichtlichen Zweikampfes zu belegen, mithin am Anfang aller Entwicklungsmo-
delle stehen, ist eine separate Betrachtung der einschlägigen Zweikampfbestimmungen
unverzichtbar. Diese vom 5. bis 9. Jahrhundert entstandenen Schriftzeugnisse lassen
sich kaum nach ihrem Urheber klassifizieren: Es ist unmöglich, die Gemengelage vieler
Entwicklungsschichten aufzulösen und klar zu bestimmen, wer für den Inhalt dieser
Texte verantwortlich zeichnet. Dass sich hier die Stimme des >gemeingermanischen
Volksgeistes< Bahn bricht, wie es Anhänger der Germanischen Rechtsgeschichte An-
fang des 20. Jahrhunderts proklamierten,^ gilt mit Recht als überholt.^ Die kulturelle
Vielfalt, die sich in diesen Texten findet, lässt sich nicht künstlich zum Ausdruck eines

94 Vgl. WEITZEL: Versuch über Normstrukturen, S. 376-378; CoHEN: Crossroads, S. 28. - Aus
pragmatischen Gründen werden im Folgenden zentrale Quellengruppen nacheinander be-
handelt, es bleibt jedoch zu bedenken, dass gewohnheitsrechtliche Traditionen und aufstre-
bendes gelehrtes Recht in allen Quellengruppen Zusammenwirken und auf gesellschaftliche
wie auch herrschaftliche Erfordernisse zugeschnitten sind.
95 Ausgeklammert bleibt an dieser Stelle der Stellenwert, der dem gerichtlichen Zweikampf im
Landrecht zugewiesen wird. Da die einschlägigen Quellen aus diesem Bereich sehr gut geeig-
net sind, den idealtypischen Verlauf eines zu rekonstruieren, folgt eine intensivere
Auseinandersetzung mit diesen Zeugnissen in Kap. III.
96 Ideologisch vorbelastete Alternativ-Bezeichnungen sind >Volksrechte<, >Germanenrechte<
oder auch >Stammesrechte<; vgl. zur ersten Information über diese Quellengruppe den her-
vorragenden Artikel von ScHMiDT-WiEGAND, Ruth: Art. >Leges<. In: RGA 18, S. 195-201 (zur
Debatte um die adäquate Bezeichnung S. 195-196); KAUFMANN, Ekkehard: Art. >Volksrecht,
Volksrechte<. In: HRG 5, Sp. 1004-1006.
97 Die Grundlage für die >Rekonstruktionsarbeit< dieser Forschungsrichtung bildeten vor allem
Berichte antiker Autoren und vergleichende Rückschlüsse aus den Leyes; vgl. z. B. AMiRA: Ger-
manisches Recht. Dass die Ergebnisse und die Wissenschaftler, die sie lieferten, in den
1930/40er Jahren besonderes Gehör und Ansehen genossen, ist ein Beispiel für die unheilvolle
Verknüpfung germanophil-nationalistischer Vorstellungen des frühen 20. Jahrhunderts mit
dem NS-Regime; vgl. SiOLLEis/SiMON: Rechtsgeschichte im Nationalsozialismus, bes. S. 194-
197.
98 Vgl. KROESCHELL: Germanisches Recht; SCHULZE: Recht fremder Kulturen.
 
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