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Neumann, Sarah; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Der gerichtliche Zweikampf: Gottesurteil, Wettstreit, Ehrensache — Mittelalter-Forschungen, Band 31: Ostfildern, 2010

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https://doi.org/10.11588/diglit.34909#0203

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202

V. Wer? - Delinquenten und Kombattanten

V.3.2 Blutsbande?: Verwandten- und Freundeskampf
Doch auch die Konfrontation zweier idealer christlicher Ritter kann als Unmöglichkeit
erscheinen. Hinderungsgrund ist hier jedoch nicht die mangelnde persönliche Integri-
tät, sondern die enge verwandtschaftliche oder freundschaftliche Beziehung der Kom-
battanten. Es bleibt zu fragen, ob das beliebte Motiv des Verwandten- oder Freundes-
kampfes""" in erzählenden Quellen allein als dramatisches Moment verwendet wird,
oder ob diese Konfrontationen auch aussagekräftig sind für die Verbindung von Kampf
und Gruppenbewusstsein.
Dynastische Konflikte, Zwistigkeiten zwischen Brüdern oder die Erhebung des
Sohnes gegen den Vater sind allenthalben Thema in der Chronistik. Vereinzelt kommt
in diesem Zusammenhang auch ein dMcHwü zur Sprache, das jedoch nicht immer in die
Tat umgesetzt wird. Wenn dies doch geschieht, stellt zumindest eine Partei einen
Kampfesstellvertreter."' '' Chronikalische Quellen berücksichtigen also das juristische
Diktum, dass ein Verwandtenkampf per se unmöglich ist,'""" auch wenn sich ein Streit
zwischen Blutsverwandten durchaus bis zur Zweikampfforderung hochschaukeln
konnte. So kam es im Jahre 1379 zu einem erbitterten Bruderzwist um das Erbe im Hau-
se Nassau, in dessen Verlauf der jüngere Sohn Heinrich seinen älteren Bruder Johann I.
zum dMcHwü forderte, das ihm jedoch mit dem Hinweis verwehrt wurde, sie hätten in
demselben Mutterleib gelegen und dürften sich daher allenfalls mit Worten vor Gericht
streiten?""" Die physische Auseinandersetzung der Brüder bedroht den Bestand der Fa-
milie, also die Keimzelle der Gesellschaft, und ist als moralische Verfehlung einzustu-
fen. Die Dichtung nutzt dagegen gerade diesen Aspekt, um zu illustrieren, welche Ver-
bindlichkeiten und Bindungen die Kombattanten im Kampf berücksichtigen resp.
außer Acht lassen müssen.
Hildebrand, der Waffenmeister Dietrichs von Bern, kehrt nach langer Zeit wieder
in sein Land zurück, doch als er die Grenze übertreten will, trifft er auf seinen Sohn
Hadubrand, der nicht glauben kann, dass es sich bei dem Heimkehrer um seinen totge-
glaubten Vater handelt und ihm daher den Kampf ansagt. Hildebrand sieht sich genö-
tigt, auf die Forderung einzugehen und so beziehen die Kombattanten ihre Position

1095 Vgl. dazu allgemein HARMS: Kampf mit dem Freund oder Verwandten und speziell für die
Chansons de geste KuLLMANN: Verwandtschaft, bes. S. 225-252.
1096 Vgl. z. B. Astronomus: Vita Hludowici, Kap. 47 (Im Konflikt zwischen Ludwig dem Frommen
und seinem Sohn Pippin wird der Neffe des Kaisers, Bernhard von Italien, als Anstifter an-
gesehen und der Untreue bezichtigt; es findet sich allerdings niemand bereit diese Klage im
dMcHMm zu verteidigen); Liudprand von Cremona: Antapodosis 111.47 (In Herrschaftsstreitig-
keiten zwischen König Hugo von Italien und seinem Halbbruder Lambert verbietet Hugo
letzterem sich weiterhin als seinen Bruder zu bezeichnen; Lambert erklärt daraufhin, er
wolle in einem beweisen, dass er Hugos Bruder sei. Dies geschieht; Lambert ge-
winnt). - Eine Ausnahme stellen die Verweise auf >sagenhafte< Verwandtenzweikämpfe dar;
vgl. z. B. die von der Heraclius-Legende abweichende Darstellung der für den Vater tödlich
endenden Auseinandersetzung zwischen dem Perserkönig Chosrau II. mit seinem Sohn bei
Thomas Ebendorfer: Chronica regum Romanorum, S. 265.
1097 Allerdings scheint es auch Ausnahmen von dieser Regel zu geben: Laut Bracton traten um
1217 zwei Brüder im dReiUm gegeneinander an; vgl. RussELL: Trial by Battle, S. 137.
1098 Vgl. SpiESS: Familie und Verwandtschaft, S. 258-259.
 
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