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Neumann, Sarah; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Der gerichtliche Zweikampf: Gottesurteil, Wettstreit, Ehrensache — Mittelalter-Forschungen, Band 31: Ostfildern, 2010

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https://doi.org/10.11588/diglit.34909#0216

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VI. Schlussbetrachtung

Heinrich von Kleist legt in seinem 1807/08 verfassten Schauspiel Dos uon Hcü-
&ro7m dem Kaiser, der dem gerichtlichen Zweikampf des Grafen von Strahl mit dem
Waffenschmied Theobald Friedeborn präsidiert, zur Eröffnung der Auseinanderset-
zung folgende Worte in den Mund:
Au/'rüste dich, du FreM77Ü der HÜTunü'scüe?!.*
D67777 ÜM Hst ÜO, 777Ü 6777677! Wort U077 SfOÜl,
ho ZweAo777^/*777re77 Aussprucü zu &ewe7'se77."^
Kleist nutzt für sein historisches Ritterspieh die formaljuristische Klassifikation des
ÜMeÜM777 als Gottesurteil nicht allein als dramatisches Moment, sondern auch als Beleg
für die Geschichtlichkeit des Dargestellten. Ein obrigkeitlich beaufsichtigter Waffen-
gang, in dem die Himmlischen ihrem Freund den Arm stärken und so ihr Urteil kund
tun, wird dem Publikum des Duell-Zeitalters als fromme, ritterliche und daher Typisch
mittelalterliche< Verfahrensweise erschienen sein. Kleist hat mit der Berufung auf den
Ordalgedanken also eine Deutungskategorie für das ÜM6ÜM777 ausgewählt, die zu den
konstitutiven Bestandteilen der neuzeitlichen Vorstellung von diesem Phänomen
zählt.'"' - Auch mittelalterliche Dichter und Chronisten haben eine Vorstellung vom
gerichtlichen Zweikampf oder besser: Sie wissen um die Funktions- und Bedeutungs-
zusammenhänge, in denen dieses Phänomen als erzählerisches Motiv Glaubwürdig-
keit und Überzeugungskraft entfalten kann. Als Zeitzeugen ist jedoch ihre Kenntnis
des Phänomens bzw. seines Kontextes und damit auch ihr Repertoire an Deutungsmög-
lichkeiten für das ÜM6ÜM777 ungleich größer. Die Antworten, die sie in ihren Entwürfen
auf die Frage nach Ort, Verlauf, Motiven und Beteiligten des Zweikampfes liefern, bin-
den ihn in den weiteren Kontext mittelalterlicher Vorstellungen von Recht und Gesell-
schaft ein und machen das ÜM6ÜM777 so zu einer komplexen Angelegenheit. Die Bedeu-
tungsvarianten des gerichtlichen Zweikampfes lassen sich bis auf einzelne Trends
weder chronologisch fixieren noch in ein Fortschrittsmodell einbinden, das den Weg
vom gottesgerichtlichen 7MÜ7'c7M777 puguoe zum Ehrenduell der Moderne nachzeichnet.
Vielmehr sind die einzelnen Komplexe der erzählerischen Darstellungsmöglichkeiten
sowohl dem Gesetz der Tradition als auch dem Diktat des Wandels unterworfen. Was
also sind die Fundamente und die dynamischen Potentiale des >Redens über den Zwei-
kampf<, die diesem Rechtsinstitut auch im erzählerischen Entwurf eine ungemein lange
Febensdauer bescheren?

1184 Kleist: Das Käthchen von Heilbronn, 5. Akt, 1. Auftritt, V. 2308-2310, S. 516.
1185 Vgl. zu Kleists Rückgriff auf das ÜM6ÜM777, der sowohl durch seine eigenen Duellerfahrungen
als auch durch sein politisches Geschichtsverständnis geprägt ist, SCHUBERT: Der Zwei-
kampf, bes. S. 281-285.
 
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