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Neumann, Sarah; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Der gerichtliche Zweikampf: Gottesurteil, Wettstreit, Ehrensache — Mittelalter-Forschungen, Band 31: Ostfildern, 2010

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https://doi.org/10.11588/diglit.34909#0067

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II. Wo? - Gerichtshoheiten und Schauplätze

Es sind also zunächst soziale und juristische Ordnungsvorgaben, die zu einer Zu-
rückdrängung des gerichtlichen Zweikampfes in der Stadt führen; dennoch hat das
im städtischen Bereich nach wie vor seinen Platz: als Rechtsinstitut, als Stein
des Anstoßes oder auch als denkwürdiges Ereignis, das eben nicht allein an juristi-
schen, sondern auch an moralisch-ethischen Vorgaben gemessen wird. Diese mora-
lisch-ethischen Vorgaben sind auch durch religiöse Vorstellungen geprägt: Recht, Ge-
rechtigkeit und Moral existieren nicht losgelöst voneinander, sondern werden
miteinander verknüpft indem in allem ein Bezug zu religiösen Fixpunkten hergestellt
wird. Daher bleibt zu fragen, in welchem Maße und auf welchen Ebenen die christliche
Kirche Position zum bezogen hat.

11.2.2 Kirchliche Positionen zum
Einigkeit besteht innerhalb der Kirche über die Einordnung des gerichtlichen Zwei-
kampfes als cn'7Hg72 S7777gM7777S und über die daraus folgende Unmöglichkeit, solch ein
Beweismittel vor einem kirchlichen Gericht in Anwendung zu bringen. Doch abgese-
hen von dieser klaren Stellungnahme fallen die Positionierungen kirchlicher Funkti-
onsträger zum dMcHM77! eher zögerlich und unbestimmt aus. Zwischen theologischen
Einlassungen, kirchenrechtlichen Anweisungen und dem Umgang mit dem gerichtli-
chen Zweikampf durch den Klerus vor Ort bestehen erhebliche Unterschiede hinsicht-
lich Motivation, Angriffspunkten und Wirkmächtigkeit der vorgebrachten Argumente.
Insbesondere die Gottesurteilslehre, die Legitimationsbasis auch des Zweikamp-
fes, ist von Anfang an theologisch höchst umstritten; zahlreiche Kritiker wenden sich
vehement gegen die unzulässige Vereinfachung und Profanierung christlicher Grund-
sätze im Ordalgedankenr^ Gottesurteile werden von ihnen als fg77M7'o Del eingestuft,
da Gott hier zu einer Stellungnahme durch eine Art Wunder gezwungen werden solle.
Die Vorstellung jedoch, der Mensch könne Gott nach Bedarf Wunder wirken lassen,
bewertet z.B. Petrus Cantor^ im 12. Jahrhundert nicht nur als frevlerische, sondern
auch als ausgesprochen einfältige Vorstellung. Und nicht weniger dumm erscheint ihm
die mangelnde Einsicht in die Naturgesetze: manche Wunden hätten völlig natürliche
Ursachen.*^ Gerade für den Zweikampf lässt sich diese Einsicht seit frühester Zeit grei-
fen. Bereits im 6. Jahrhundert begründet Bischof Avitus von Vienne seine Ablehnung
des gerichtlichen Zweikampfes mit dem Erfahrungswert, dass häufig der Schuldige
den Sieg davontrage/"' weil nämlich der Stärkere gewinne und dies sei eben nicht un-

283 Vgl. dazu die Sammlung von Belegen bei BROWE 2, Nr. 84-129, S. 67-109.
284 Vgl. PEPPERMÜLLER, Rolf: Art. >Petrus Cantor<. In: LexMA 6, Sp. 965-966.
285 Vgl. BROWE 2, Nr. 105, S. 80-81. - Vgl. dazu RADDING: World Made by Men, S. 7-9; BALDWiN:
Masters, Princes and Merchants, S. 323-332.
286 Vgl. BROWE 2, Nr. 84, S. 67-68. - Übermittelt wurden diese frühesten Gegenargumente von ei-
nem herausragenden Zweikampf-Kritiker des 9. Jahrhunderts, Bischof Agobard von Lyon.
Dieser baute die Stellungnahme des Avitus in seinen an Ludwig den Frommen gerichteten
Aufruf AdrersMS Leyem GM7*Uo&?A ein und ging sogar so weit, König Gundobad aufgrund sei-
ner Gesetzgebung als Häretiker zu verurteilen; vgl. Agobard von Lyon: Adversus Legem
Gundobadi, S. 22: QMg MÜhfas esf, propfer ieye777, <77777777 dicMTü G7777doFada777, CM7MS aMcfor exhhf
iw7770 irerehcMs ef/i&i cadwücae 77Ü7C 777 e77fer iTumicMs - CM7MS üyis 7wT77 7 77es SMTü perpaMci - 77077 possü
S77per 7^77777 fesfifican aüer efM777 &07777S ci7n'sf7'a7777s? - Zu Agobard vgl. GRELEWSKi: Reaction con-
 
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