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Neumann, Sarah; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Der gerichtliche Zweikampf: Gottesurteil, Wettstreit, Ehrensache — Mittelalter-Forschungen, Band 31: Ostfildern, 2010

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https://doi.org/10.11588/diglit.34909#0125

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IV. Warum? - Delikte und Konflikte

Akteure aufdecken lassen und dass b) diese Akteure als Repräsentanten eines Perso-
nenverbandes gekennzeichnet werden.
Gerade in der literarischen Verarbeitung handelt es sich bei diesem Verband häu-
fig um die Familie bzw. um die Sippe, die durch das Verbrechen betroffen und daher
zum Handeln aufgefordert ist. Nach Ausweis der Rechtsquellen hat das ducHtu?! zumin-
dest in einigen Fällen seinen Dienst als >Abrüstungsphänomen der Fehde< getan und
die Rechtsunsicherheitsfaktoren Rache und Selbsthilfe verdrängt. So muss (Raub-)
Mord nicht eine Serie blutiger Vergeltungsakte nach sich ziehen. Oft genug klagt ein
Angehöriger der^?7?u7M, z.B. ein Diener^" oder auch ein Verwandter"^ des Opfers, und
erklärt seine Bereitschaft, den Vorwurf im Zweikampf zu erhärten, sofern keine gütli-
che Einigung erzielt werden kann. Literarische Quellen greifen dieses Modell auf - ob-
gleich wilden Zweikämpfen< '" und Fehden ein größeres Gewicht zukommt - und prä-
sentieren das zum einen als eine allgemein akzeptierte Möglichkeit, sich im
Falle eines Verwandtenmordes Genugtuung zu verschaffen;*^ zum anderen wird in der
Konfrontation der Vertreter zweier Clans auch deren generelle Konkurrenzsituation
um Einfluss auf und Teilhabe an der Herrschaft verdeutlicht. Der Zweikampf als lega-
lisierte Fehde anlässlich eines Mordfalls wird stilisiert zum Kampf der Verlässlichen
gegen diejenigen, die mit >Verrätergenen< geboren und somit ein Störfaktor für Herr-
schaft und Gesellschaft sind."^

IV.2.2 Begierde und Begehrlichkeiten: die Frau als Auslöser des dudüuH
Um die Vernichtung dieser Störfaktoren und um die Wiederherstellung der persönli-
chen Ehre geht es in den Fällen, in denen eine Frau im Zentrum des Konflikts steht:
Egal, ob sie als Opfer einer Straftat oder auch als Objekt unrechtmäßiger Begehrlichkei-

613 Vgl. z.B. CRR26 John (1203), S. 195; MAiTLAND: Select Pleas, Nr. 80, S. 35-36 (1203).
614 Vgl. z. B. CRR 48 John (1208), S. 182 (heimtückischer Mordanschlag auf Drogo; der Bruder des
Ermordeten erhebt Klage); MAiTLAND: Select Pleas, Nr. 85, S. 42-43 (a. 1201; der Sohn des Er-
mordeten erhebt Klage nachdem er volljährig ist).
615 Vgl. z.B. die Vereinbarung zwischen Durmart, dessen Gegner im Turnier den Tod gefunden
hat, und dem Bruder des Toten, sich in 60 Tagen zu einem Zweikampf zu treffen; Durmart le
Galois, V. 2882-2954 und 4598-4878.
616 Besonders deutlich lässt sich die Akzeptanz des gerichtlichen Zweikampfes als geeignetes
Rechtsmittel in einem Mordfall in Girart d'Amiens Artusroman Escanor (13. Jh.) ablesen: Zwei-
mal wird wissentlich ein Verwandtenmord als Anklagepunkt nur vorgeschoben, um im düd-
him gegen Gawain einen Tapferkeitsbeweis erbringen zu können. Die formaljuristischen Zu-
gangsvoraussetzungen zum gerichtlichen Zweikampf, wie z.B. das kampfwürdige Delikt
>Mord<, werden hier also durchaus berücksichtigt; der eigentliche Konflikt ist jedoch auf Neid
und Konkurrenzdenken zurückzuführen und wird somit nicht als Frage des Rechts, sondern
als Frage des Sozialprestiges ausgewiesen; vgl. Girart dAmiens: Escanor, Kap. 14, V. 6958-7860
und Kap. 24, V. 13479-13931, Kap. 31, V. 20353-21754 (Klage des unbekannten Ritters, d.i. Esca-
nor le Bel, gegen Gawain, seinen Cousin ermordet zu haben; Enthüllung der wahren Gründe
für diese Falschanklage); Kap. 27 V. 14959-16513 (fingierte Mordanklage des Brian des Illes vs.
Gawain).
617 Dies gilt insbesondere für die sog. Empörergeste; vgl. z.B. Reinolt von Montelban, V. 14549-
14927 (Emmerich, Sohn Reinolts vs. Galleran, Sohn Pinabels) und Huon de Bordeaux, V. 1365-
2151 (Huon de Bordeaux vs. Amauri).
 
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