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Neumann, Sarah; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Der gerichtliche Zweikampf: Gottesurteil, Wettstreit, Ehrensache — Mittelalter-Forschungen, Band 31: Ostfildern, 2010

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https://doi.org/10.11588/diglit.34909#0022

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1.2 Wege der Forschung

21

Augenmerk vor allem auf dem Niedergang der Gottesurteile seit dem 12. Jahrhundert,
der als symptomatisch für tiefgreifende, die menschliche Lebens- und Erfahrungswelt
grundlegend verändernde Umbrüche begriffen wird: Diese förderten die Entwicklung
neuer, an pragmatischen und rationalen Kriterien ausgerichteter Maximen für das Zu-
sammenleben, sorgten für eine allmähliche Trennung von geistlicher und weltlicher
Sphäre und ließen die Gottesurteile zu überkommenen Rechtsmitteln herabsinken - bis
auf eine Ausnahme: den gerichtlichen Zweikampf, der sich allen kirchlichen und welt-
lichen Verboten zum Trotz im Recht behaupten konntet Dieser Befund erhärtet zu-
nächst die Annahme, dass es sich bei dem z'M<ü'dM7?i puguoe seit jeher um ein Beweismit-
tel ganz eigener Art handelte, das entgegen allen Klassifikationsversuchen den Ordalen
nur lose verbunden war und dessen Legitimationsbasis sich nicht allein und nicht zu
jeder Zeit aus der Gottesurteilslehre speisen konnte. Zu fragen bleibt also, welche Fak-
toren das Fortleben des Zweikampfes sicherten; wie die ideologische Leerstellen die
durch den Bedeutungsverlust der Gottesurteile entstand, gefüllt wurde; ob am Ende
gar Ehrgefühl an die Stelle von Gottvertrauen treten konnte. Es bleibt jedoch zu beden-
ken, dass die Datierung des >Endes der Gottesurteile< hauptsächlich an normativen
Quellen orientiert ist, die zwar das Ende ihrer rechtlichen Existenz besiegeln, die Got-
tesurteilsidee - und entsprechende Praktiken - jedoch keineswegs zum Erliegen brin-
gen.^ Praktische Gründe wie beispielsweise die Tatsache, dass der gerichtliche Zwei-
kampf weniger stark auf die Einbindung in einen liturgischen Rahmen angewiesen war
als andere Gottesurteilsformen, mögen seinem Überleben ebenso förderlich gewesen
sein wie seine möglichen andersartigen oder veränderten Legitimationsgrundlagen.
>Gottesurteil oder Ehrensache?< kann folglich nicht die Frage sein, die sich für den ge-
richtlichen Zweikampf aus der Betrachtung mittelalterlichen Beweisrechts ergibt. Ein
derart entschiedenes Entweder-Oder scheint eher der fortschrittsoptimistischen These
vom Aufbruch aus der Irrationalität und der Sehnsucht nach Eindeutigkeit verpflichtet
zu sein. Es bleibt zu prüfen, ob sich die Anwendung des spätestens ab dem 12.
Jahrhundert, wenn nicht sogar generell, auf völlig andere Grundlagen berufen hat; Va-
riationsbreite in der Legitimation dieses Beweismittels ist dabei ebenso denkbar wie
völlige Verwandlung.

1.2.6 Analyse einer Erzähltradition
Diese Variationsbreite erschließt sich freilich nicht allein aus der Konzentration auf die
dem in normativen Quellen attestierte (Rechts-)Qualität. Unverzichtbar für ein
umfassendes Bild von den kollektiven Vorstellungen, die im Mittelalter mit dem ge-
richtlichen Zweikampf verbunden sind, ist vielmehr die Analyse erzählender Quellen.
Denn im Gegensatz zu der eher kampfesmüden Rechtswirklichkeit vermittelt die Dich-
tung des Mittelalters ein Bild der Zeit, das ausgesprochen reich an Zweikämpfen ist
oder besser: sein muss, denn »Vergehen niedriger Art sind der Natur der Dichtungsart

48 Unverzichtbar für jede Auseinandersetzung mit dem Ende der Ordale und dem Weiterleben
des ÜMeZ/MW ist v. a. die dichte Überblicksdarstellung von BARTLETT: Trial by Fire and Water
(zum Zweikampf vgl. S. 103-126). - Vgl. auch MoRRis: Discovery of the Individual; DERS.: jMdi-
ciHW Del; RADDING: Superstition to Science; BALDWiN: Intellectual Preparation.
49 Vgl. BALDWiN: Crisis of the Ordeal; ScHMOECKEL: Sonderbares Wunderwerck Gottes.
 
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