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Neumann, Sarah; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Der gerichtliche Zweikampf: Gottesurteil, Wettstreit, Ehrensache — Mittelalter-Forschungen, Band 31: Ostfildern, 2010

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https://doi.org/10.11588/diglit.34909#0042

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11.1 Gerichtshoheiten

41

Recht des Stärkeren noch nichts darüber aus, wie dieses Recht in die Tat umgesetzt
wurde. Neben Fehde und Gewalttat als blutigen Konfliktlösungen ist ebenfalls denk-
bar, dass Drohgebärden sowie Überwindungs- und Unterwerfungsgesten als Teil eines
Schlichtungs- oder Spielmodells Geltung beanspruchen konnten."^ Reglementierungen
und Formalisierungen können auch unabhängig von Verrechtlichungsprozessen exis-
tieren. Dies sollte nicht in Vergessenheit geraten, gerade weil das dMeHiUK als formali-
sierter und reglementierter Zweikampf gleichsam als Produkt eines Verrechtlichungs-
prozesses und - viel wichtiger - eines Verschriftlichungsprozesses erstmals greifbar
wird. Entscheidend für die Bedeutung des gerichtlichen Zweikampfes ist eben nicht
allein seine Legalisierung, sondern vor allem seine Kodifizierung und die Frage, ob der
Medienwandel von der Mündlichkeit zur Schriftlichkeit die Ausgestaltung und Bedeu-
tung des beeinflusst hat. Die Verankerung des gerichtlichen Zweikampfes in
den Leges ist in vielen Fällen auch ein Tribut an gewohnheitsrechtliche Traditionen. Da
es häufig unmöglich schien, das duUhuH abzuschaffen, musste ein Konsens über die
rechtliche Behandlung dieses Phänomens gefunden werden, der einerseits Zweikampf-
willigen diese Option nicht ganz verbaute, sie aber andererseits für die Rechtssetzen-
den zu einer kontrollierbaren Größe machte. Die Integration des gerichtlichen Zwei-
kampfes in die lex scn'pü7 zeugt also vor allem von dem Bemühen, das dMeHiUK den
Bedürfnissen der jeweiligen Gemeinschaft anzupassen"^ und seinen Stellenwert im
wahrsten Sinne des Wortes festzuschreiben. Und dieser Stellenwert ist bereits in den
frühesten Textzeugnissen nicht eindeutig zu bestimmen: Das ist ein Beweismit-
tel, das sowohl im weiteren als auch im engeren Sinne als Gottesurteil verstanden und
legitimiert werden kann; doch scheint sein Ordalcharakter eher sekundäre Bedeutung
zu haben. In erster Linie zeugen die Leges von dem Bemühen, ein traditionales Element
der Konfliktlösung in ein juristisch gebundenes Herrschaftsinstrument zu transformie-
ren, mit dessen Hilfe ein obrigkeitliches Gewaltmonopol begründet und auch nach au-
ßen sichtbar gemacht werden soll.

11.1.2 reges
Die Lrage ist nun, wie der höchste Exponent dieses erstrebten Gewaltmonopols, das
Königtum, in der Folgezeit mit dem gerichtlichen Zweikampf verfährt: Bleibt es bei
konsensualer Gesetzgebung, wird die königliche Position genutzt, um dem ein
Ende zu bereiten, oder gewinnt es einen neuen Stellenwert >im Dienst der Krone<?
Ein erster Blick auf die königliche Zweikampfgesetzgebung in Nordwesteuropa
fördert neben vielen Gemeinsamkeiten auch einige Unterschiede in der Behandlung
dieses Phänomens innerhalb der politischen Einheiten des Untersuchungsraumes zu
Tage. Diese Unterschiede sind mitverantwortlich dafür, dass die Forschung den einzel-

133 Die Kulturanthropologie liefert hier wichtige Denkanstöße; vgl. z. B. WHiTMAN: Zum Thema
Selbsthilfe, S. 105: »Recht und Gewalttätigkeit, Begegnung und Konflikt - das sind schöne und
faszinierende Themen. Sie sind Themen, vor allem, die auf das Tierische im Menschen hinzu-
deuten scheinen [...]. Auch wir sind gerne verführt zu glauben, daß unsere frühesten Quellen
Blicke auf unseren tierischen Ursprung gewähren könnten. [...] unsere frühesten Quellen
sind, sozusagen, schon vermenschlicht. In ihnen entdecken wir schon typisch komplizierte
Mentalitäten, schon hochentwickelte rituelle Gedanken.«
134 Vgl. HÜPPER-DRÖGE: Gerichtlicher Zweikampf, S. 651.
 
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