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Neumann, Sarah; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Der gerichtliche Zweikampf: Gottesurteil, Wettstreit, Ehrensache — Mittelalter-Forschungen, Band 31: Ostfildern, 2010

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https://doi.org/10.11588/diglit.34909#0019

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I. Einleitung

den ersetzt«^* wurden. Gerade diese fortschrittsoptimistische Interpretation der seit
dem 11. Jahrhundert belegten städtischen Duellverbote baut fest darauf, dass der ge-
richtliche Zweikampf vordem häufig zur Anwendung kam. Doch die Frage nach der
>Rechtswirklichkeit< des ducHtUM wird nach wie vor kontrovers diskutiert: Hat man
gern, oft und selbstverständlich auf dieses Mittel zurückgegriffen? Oder fungierte der
gerichtliche Zweikampf als bloßes Abschreckungsmoment im Recht, als eine Norm, die
gesetzt wurde, um - wenn überhaupt - nur im äußersten Falle umgesetzt zu werden?
Durch gründliche Recherche im urkundlichen Material ist zumindest für einen be-
grenzten lokalen oder regionalen Rahmen die Frage erörtert worden, wie es sich in der
Praxis mit dem gerichtlichen Zweikampf verhalten hat. Die Antwort fällt zumeist zu-
gunsten der >Abschreckungsthese< aus, d. h. in den wenigen Fällen, in denen überhaupt
ein Zweikampf zur Debatte stand, einigten sich die Parteien lieber gütlich anstatt in die
Schranken zu treten.
Dieser >reale< Befund entspricht wiederum dem Bild, das umfangreiche normative
Kampfvorschriften oder auch literarische Zeugnisse^ vom - idealtypischen - Ablauf
des zeichnen: Der gerichtliche Zweikampf war demzufolge kein wildes >Hauen
und Stechern, sondern ein an Vorschriften gebundener Wettkampf, bei dem stets die
Möglichkeit der Stellvertretung durch einen gemieteten Kämpen oder auch die Alter-
native des Kampfverzichts und der gütlichen Einigung bestand. Er war damit nicht nur
ein Stück legalisierte, sondern vor allem ein Stück ritualisierte Gewalt, ein »Spiel mit
Waffen«^, das nicht immer bis zum blutigen Ende ausgefochten werden musste, aber
gleichwohl ein effektives Mittel der Konfliktlösung darstellte. Diesen rituellen Charak-
ter unterstreichen auch die nach Ausweis der mittelalterlichen Chronisten häufig ange-
botenen, aber niemals ausgefochtenen Fürstenzweikämpfe des Spätmittelalters: Es ge-
hörte offenbar zum guten Ton unter den Herrschenden, dem jeweiligen Gegner einen
gerichtlichen Zweikampf anzubieten, um Blutvergießen zu verhindern. Doch offen-
kundig war mit dem bloßen Zweikampfgebot der Etikette bereits Genüge getan; der
Kampf selbst erübrigte sich, es kam schließlich doch zur gütlichen Einigung.^ So bot
gerade der häufig als archaischer Brauch eingestufte gerichtliche Zweikampf den Betei-
ligten eine Möglichkeit, ihre Auseinandersetzungen zu beenden, ohne dabei Blessuren
am eigenen Leibe oder eine Verletzung des gesellschaftlichen Ansehens befürchten zu
müssen. Zu fragen bleibt, ob und in welchem Maße das dMcHM7?i als Teil der Spielregeln
der Politik im Mittelalter^ zu deuten ist. Notwendig wird damit eine eingehende Be-
trachtung des gerichtlichen Zweikampfes unter dem Vorzeichen kulturwissenschaftli-

32 EBEL: Rechtsschöpferische Leistung, S. 246.
33 Hervorgehoben seien insbesondere CHABAs: Duel judiciaire; GuiLLOT: Duel judiciaire; HÜB-
NER: Gerichtsurkunden der fränkischen Zeit.
34 Besonders hingewiesen sei auf das anhand der Auswertung einer Reihe von Zweikampfschil-
derungen aus der französischen Epik erstellte elfteilige Schema für den Ablauf des gerichtli-
chen Zweikampfes bei PFEFFER: Formalitäten.
35 HuiziNGA: Homo ludens, S. 106. - Spiel ist hier nicht als Hinweis auf mangelnde Ernsthaftig-
keit zu verstehen, sondern verweist auf den Wettkampfcharakter des Rechts, vgl. HuiziNGA:
Homo ludens, S. 89.
36 Vgl. BLOCH: Wundertätige Könige, S. 54; FRIEDRICH: Symbolische Ordnung, S. 135-138; GoEz:
Fürstenzweikämpfe; HuiziNGA: Herbst des Mittelalters, S. 126-146; ISRAEL: Der vereitelte
Zweikampf; SCHNEIDER: Zweikampf von Königen; VoNEs: Duel des princes.
37 So der Titel einer der bekanntesten Arbeiten von ALTHOFF: Spielregeln; vgl. auch DERS.: Macht
der Rituale.
 
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