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III. Wie? - Regelwerke und Verlaufsprotokolle
Vorwurf bewusster Rechtsbeugung bzw. mangelnder Integrität und griff die gegneri-
sche Partei oder das Gericht derart hart an, dass nur noch mit gerichtlichem Zweikampf
entschieden werden konnte.^ Dem Gewicht der durch die Schelte erhobenen Vorwürfe
scheint einerseits das Bestreben zu entsprechen, durch hohe Strafandrohung bei un-
rechtmäßigem Rücktritt von der Schelte ^ leichtfertiges oder böswilliges Schelten zu
verhindern. Andererseits dient der gerichtliche Zweikampf als Ultimaratio, die nur in
berechtigten Fällen und unter strengstem Formalismus Anwendung finden sollte. Dies
gilt auch für die sog. Kampfklage, die als vorweggenommene Eidesschelte zu verstehen
ist.^ Das bei diesem Vorgehen zu beachtende Verfahren wird besonders eindrücklich
im Sodzseuspz'egd des Eike von Repgow '"' beschrieben, an dem sich die folgende Betrach-
tung hauptsächlich orientiert.^ Die Auseinandersetzung mit dem Reglement, das in
diesem Rechtsbuch für den Zweikampf vorgesehen ist, macht vor allem eines deutlich:
Der Weg von der Klageerhebung bis zum Kampf war nicht allein risikoreich, sondern
auch lang. Das hoch formalisierte Zweikampfverfahren zielte offenbar darauf ab, leicht-
fertige Forderungen zu verhindern oder die Streitparteien zumindest mürbe zu ma-
chen und zu einer gütlichen Einigung zu bewegen. So erforderte eine juristisch korrek-
te Klageerhebung im Akkusationsprozess generell, wie auch im Falle des ein
hohes Maß an Konzentration auf den korrekten Ablauf des Vorgangs. Konkret bedeutet
dies, dass der Geschädigte^ zunächst Klage vor dem Gerichtsherrn erheben musste.
Daraufhin hatte er den Beklagten vor den Richter zu bringen, die Gründe für seine
Klage zu nennen, diese durch Leibesbeweise, d. h. offene Wunden oder Narben, zu be-
legen und Auskunft über die Höhe des ihm zugefügten materiellen Schadens zu ertei-
len. Unterlief dem Kläger jedoch ein Fehler, war sein Anspruch auf Erfüllung der Klage
verwirkt. Der Geschädigte musste also ruhig und bedacht handeln; eine Zweikampffor-
derung als impulsiver Ruf nach Vergeltung war folglich gerade nicht erwünscht.
Nach ordnungsgemäßer Klageerhebung folgte laut Sachsenspiegel die Gewähr-
schaft, eine prozessuale Garantieverpflichtung: Die sog. Wadiation, ein symbolischer
Rechtsakt, der die Zweikampfvereinbarung als vertragliche Übereinkunft der Streit-
384 Für die enge Verbindung von Ehre und Recht spricht auch die Regelung, dass derjenige Urtei-
ler als ehrlos angesehen wurde, der sich weigerte, für sein Urteil einzustehen, und demzu-
folge Sitz und Stimme im Gericht verlor; vgl. GEBAUER, Studien, S. 39.
385 Den Zurücktretenden trafen Landesverweisung und Verlust seiner Lehen; vgl. GEBAUER, Stu-
dien, S. 42.
386 Vgl. ScHRÖDER/KÜNSSBERG: Lehrbuch der deutschen Rechtsgeschichte, S. 398-399.
387 Das Werk enstand um 1220/35 und ist damit das älteste und aufgrund seiner Verbeitung und
Prägekraft zugleich das bedeutendste deutschsprachige Rechtsbuch; vgl. zu Entstehung, Re-
zeption und Inhalt des Sachsenspiegels EBEL, Friedrich: Art. >Sachsenspiegel<. In: HRG 4,
Sp. 1228-1237.
388 Vgl. Sachsenspiegel Landrecht 163. - Detaillierte Auskünfte zum Zweikampfverfahren liefern
zudem gelehrte Kampfsummen (z. B. Anon.: Summula de pugna; Roffred von Benevent:
Summa de pugna), königliche Kampfvorschriften wie z. B. die an der Ordonnanz Philipps des
Schönen orientierten Ceremonies des gages de bataille für Frankreich oder für Böhmen der
Codex Juris Bohemici, S. 198-255. - Zahlreiche Details lassen sich darüber hinaus aus den zwi-
schen gelehrtem Recht und Gewohnheit angesiedelten frz. Coutumes rekonstruieren.
389 Ein Sonderfall ist die sog. Klage mit dem toten Mann, die als Zweikampfklage um Totschlag in
Gegenwart des Getöteten vorgebracht werden konnte; vgl. Sachsenspiegel Landrecht II64 §3;
BRUNNER: Klage mit dem toten Mann; WERKMÜLLER, Dieter: Art. >Klage mit dem toten Mann<.
In: HRG 2, Sp. 849-851.
III. Wie? - Regelwerke und Verlaufsprotokolle
Vorwurf bewusster Rechtsbeugung bzw. mangelnder Integrität und griff die gegneri-
sche Partei oder das Gericht derart hart an, dass nur noch mit gerichtlichem Zweikampf
entschieden werden konnte.^ Dem Gewicht der durch die Schelte erhobenen Vorwürfe
scheint einerseits das Bestreben zu entsprechen, durch hohe Strafandrohung bei un-
rechtmäßigem Rücktritt von der Schelte ^ leichtfertiges oder böswilliges Schelten zu
verhindern. Andererseits dient der gerichtliche Zweikampf als Ultimaratio, die nur in
berechtigten Fällen und unter strengstem Formalismus Anwendung finden sollte. Dies
gilt auch für die sog. Kampfklage, die als vorweggenommene Eidesschelte zu verstehen
ist.^ Das bei diesem Vorgehen zu beachtende Verfahren wird besonders eindrücklich
im Sodzseuspz'egd des Eike von Repgow '"' beschrieben, an dem sich die folgende Betrach-
tung hauptsächlich orientiert.^ Die Auseinandersetzung mit dem Reglement, das in
diesem Rechtsbuch für den Zweikampf vorgesehen ist, macht vor allem eines deutlich:
Der Weg von der Klageerhebung bis zum Kampf war nicht allein risikoreich, sondern
auch lang. Das hoch formalisierte Zweikampfverfahren zielte offenbar darauf ab, leicht-
fertige Forderungen zu verhindern oder die Streitparteien zumindest mürbe zu ma-
chen und zu einer gütlichen Einigung zu bewegen. So erforderte eine juristisch korrek-
te Klageerhebung im Akkusationsprozess generell, wie auch im Falle des ein
hohes Maß an Konzentration auf den korrekten Ablauf des Vorgangs. Konkret bedeutet
dies, dass der Geschädigte^ zunächst Klage vor dem Gerichtsherrn erheben musste.
Daraufhin hatte er den Beklagten vor den Richter zu bringen, die Gründe für seine
Klage zu nennen, diese durch Leibesbeweise, d. h. offene Wunden oder Narben, zu be-
legen und Auskunft über die Höhe des ihm zugefügten materiellen Schadens zu ertei-
len. Unterlief dem Kläger jedoch ein Fehler, war sein Anspruch auf Erfüllung der Klage
verwirkt. Der Geschädigte musste also ruhig und bedacht handeln; eine Zweikampffor-
derung als impulsiver Ruf nach Vergeltung war folglich gerade nicht erwünscht.
Nach ordnungsgemäßer Klageerhebung folgte laut Sachsenspiegel die Gewähr-
schaft, eine prozessuale Garantieverpflichtung: Die sog. Wadiation, ein symbolischer
Rechtsakt, der die Zweikampfvereinbarung als vertragliche Übereinkunft der Streit-
384 Für die enge Verbindung von Ehre und Recht spricht auch die Regelung, dass derjenige Urtei-
ler als ehrlos angesehen wurde, der sich weigerte, für sein Urteil einzustehen, und demzu-
folge Sitz und Stimme im Gericht verlor; vgl. GEBAUER, Studien, S. 39.
385 Den Zurücktretenden trafen Landesverweisung und Verlust seiner Lehen; vgl. GEBAUER, Stu-
dien, S. 42.
386 Vgl. ScHRÖDER/KÜNSSBERG: Lehrbuch der deutschen Rechtsgeschichte, S. 398-399.
387 Das Werk enstand um 1220/35 und ist damit das älteste und aufgrund seiner Verbeitung und
Prägekraft zugleich das bedeutendste deutschsprachige Rechtsbuch; vgl. zu Entstehung, Re-
zeption und Inhalt des Sachsenspiegels EBEL, Friedrich: Art. >Sachsenspiegel<. In: HRG 4,
Sp. 1228-1237.
388 Vgl. Sachsenspiegel Landrecht 163. - Detaillierte Auskünfte zum Zweikampfverfahren liefern
zudem gelehrte Kampfsummen (z. B. Anon.: Summula de pugna; Roffred von Benevent:
Summa de pugna), königliche Kampfvorschriften wie z. B. die an der Ordonnanz Philipps des
Schönen orientierten Ceremonies des gages de bataille für Frankreich oder für Böhmen der
Codex Juris Bohemici, S. 198-255. - Zahlreiche Details lassen sich darüber hinaus aus den zwi-
schen gelehrtem Recht und Gewohnheit angesiedelten frz. Coutumes rekonstruieren.
389 Ein Sonderfall ist die sog. Klage mit dem toten Mann, die als Zweikampfklage um Totschlag in
Gegenwart des Getöteten vorgebracht werden konnte; vgl. Sachsenspiegel Landrecht II64 §3;
BRUNNER: Klage mit dem toten Mann; WERKMÜLLER, Dieter: Art. >Klage mit dem toten Mann<.
In: HRG 2, Sp. 849-851.