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Burkhardt, Julia; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Reichsversammlungen im Spätmittelalter: politische Willensbildung in Polen, Ungarn und Deutschland — Mittelalter-Forschungen, Band 37: Ostfildern, 2011

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https://doi.org/10.11588/diglit.34753#0161

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D. Deutsche Reichsversammlungen

se Mannigfaltigkeit und das sich hier offenbarende Maß an Unbestimmtheit
die Frage auf, ob und »wie den Beteiligten deutlich gemacht wurde, dass es
sich bei einer Versammlung um eine solche des Reichs handelte und nicht um
irgendein beliebiges Treffen einiger Fürsten und Herren mit dem König.Zu
fragen ist deshalb nach dem zeitgenössischen Verständnis des Reichs und sei-
nes Ordnungsgefüges, jenes Vorstellungsrahmens also, innerhalb dessen der
Herrscher und die Kurfürsten, Fürsten und städtischen Vertreter ihre gemein-
samen Beratungen verorteten und begründeten.
Reichsbegriff und Reichsvorstellung lassen sich für das Spätmittelalter
schwerlich eindeutig bestimmen. Wie der Gebrauch der Formel »König/Kai-
ser und Reich« im 15. Jahrhundert zeigt, wurden unter dem Reich sowohl
der konkrete Herrschaftsbereich des Königs als auch ein »Inbegriff objektiven
Rechts«, ein transpersonales Reich verstanden? Das Reich war ein »abstrakter
Begriff, eine Idee, ein Bewusstsein von Gemeinsamkeiten«, dem die Glieder
ebenso huldigten und verpflichtet waren wie dem Herrscher? Die Vorstellung,
wonach das Reich nicht mehr zwangsläufig mit dem Königtum zusammen-
gedacht werden musste, sondern dem Herrscher gleichsam gegenüber stand,
hatte sich bereits im 12. Jahrhundert ausgeprägt. Fixiert wurde diese Entwick-
lung 1121 im Friedensvertrag von Würzburg, in dem ein Ausgleich zwischen
Heinrich V. und dem Reich (consiFMm & conhoucrsM mkv dommtm mpemfomm cf
rcgymm) vereinbart wurde. Hier erschien das Reich in Abgrenzung zum Herr-
scher als eine Größe mit eigenen Rechten, »für deren Erhaltung und für deren
Bestand ... vor allem die Fürsten eintraten.«^ Für den Fall, dass der Kaiser sich
nicht an die Bestimmung des Vertrags, der auf einem scnafMS consM/fnm, einem
fürstlichen Beschluss basierte, wollten die Fürsten den Bestand des Vertrags
in einer Schwureinung garantieren. Diesem Verständnis nach konnten die ge-
nuin königlichen Aufgaben, die Aufrichtung und Wahrung von Frieden und
Ordnung, nun auch von den Großen des Reichs wahrgenommen werden. Sie
fühlten sich in Konfliktsituationen für das Wohl des Reichs verantwortlich und
sahen im fürstlichen Zusammenwirken einen Weg, diese Verantwortung als
Repräsentanten des Reichs gegenüber dem Herrscher geltend zu machen? In-
folge der Ausprägung dieses Handlungsbewusstseins und der Betonung des
fürstlichen Wahlgedankens verlor die Vorstellung einer Handlungsgemein-
schaft von Fürsten und Herrscher dagegen an Bedeutung?
Uber Angelegenheiten des Reichs und Konflikte zwischen Reichsgliedern
wurde gleichwohl im Rahmen gemeinsamer Beratungen des Herrschers und
der Fürsten befunden. Ein Forum dafür boten die Hoftage des Herrschers,

4 STOLLBERG-RinNGER, Des Kaisers alte Kleider, S. 27.
5 IsENMANN, Integrations- und Konsolidierungsprobleme, S. 119.
6 SCHMIDT, Städtetage, S. 12.
7 WEiNFURTER, Jahrhundert der Salier, S. 180. Text der Friedensordnung, in: MGH Constitu-
tiones 1, Nr. 106, S. 158. Vgl. dazu auch ScHLicx, König, Fürsten und Reich, S. 78-81 sowie
WEiNFURTER, Reformidee und Königtum, S. 332.
8 ALTHOFF, Staatsdiener oder Häupter des Staates, S. 138ff.
9 FoERSTER, Staufische Herrschaftsvorstellungen, S. 258. Vgl. dazu auch KÖLZER, Der Hof Barba-
rossas, S. 20f.
 
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