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Burkhardt, Julia; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Reichsversammlungen im Spätmittelalter: politische Willensbildung in Polen, Ungarn und Deutschland — Mittelalter-Forschungen, Band 37: Ostfildern, 2011

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https://doi.org/10.11588/diglit.34753#0226

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IV. Im Gedächtnis der Zeit: Historizität und Wahrnehmung

225

Mit der hier erkennbaren Differenz zwischen der Propagierung des Reichs-
tags als eines bedeutenden Entscheidungsforums im Reich einerseits und des-
sen mitunter zurückhaltenden Nutzung durch die eingeladenen Teilnehmer
andererseits (manifest in der Zurückhaltung bei der Beschickung des Tags,
der Beschlussfassung und -Umsetzung) korrespondieren die in großer Anzahl
überlieferten Bekundungen von Skepsis oder Hoffnungslosigkeit hinsichtlich
der Entscheidungsprozesse auf den Reichsversammlungen. Mehrfach berich-
teten (Kur-) Fürsten oder Gesandte resigniert, dass auf den Reichstagen keine
Entscheidung zu erwarten oder zustande gekommen sei. Diese Beobachtungen
wurden zuweilen auf eine schlechte Stimmung und ein Grundmisstrauen der
Reichsglieder gegenüber dem Kaiser zurückgeführt, den sie einer >reichsfer-
nen< Politik sowie eines mangelnden Interesses an gemeinsamen Beratungen
beschuldigten. So kolportierte der Domherr von Frauenburg im November
1444 die Aussage eines anonymen Gelehrten, der König Friedrich III. vor warf,
dieser sei an einer Einigung in der Frage der Kirchenspaltung nicht interessiert,
sondern erwarte lediglich, das cm die /icrnmydwsdm ZMydcsscydden sidden.^' Ein
Jahr später berichtete der Frankfurter Gesandte Bechtenhenne, man spreche im
Reich gar sere idW von nnserm darren dem demige, daz er ades langsam n^ric/he nnd
niedtes yerüge.^ Das von Bechtenhenne beschriebene »langsame Ausrichten«
und »Nichtstun« wurde jedoch mehrfach auch den Verhandlungen auf den
Reichsversammlungen zugeschrieben, die - wie im Folgenden zu zeigen sein
wird - verschiedentlich als lang und fruchtlos charakterisiert wurden.

IV.2. Vergangenheitsbezüge und Kontinuitäts-
fiktionen: Mn/fMcdtperdcd und ex dzeta diefam?^
Als die Anwälte Friedrichs III. in der ersten Sitzung des Nürnberger Reichstags
1470 die Forderungen des Kaisers vortrugen, stellten sie die akute Bedrohung
Europas und des Reichs ganz in das Zentrum ihrer Ausführungen. Wenige Wo-
chen zuvor war das bislang als sicher geltende, unter venezianischem Schutz
stehende Negroponte von den Truppen Mehmeds II. erobert worden, ein sym-
bolträchtiges und erschütterndes Ereignis, das zunächst im venezianischen
Kulturkreis rezipiert wurde und schließlich auch die >Türkenbedrohung< im
Reich wieder an die Spitze der politischen Agenda rücken ließ.^ Bereits in der
Einladung zum Reichstag hatte der Kaiser betont, dass alle Cdnsten von lio/izm
und mdeim shmn&m zur >Türkenbekämpfung< verpflichtet seiend Gleichzeitig

271 RTA17, C Nr. 237a, S. 511f.
272 Schreiben an den Frankfurter Rat, in: Frankfurts Reichscorrespondenz 2,1, Nr. 125, S. 88.
273 Charakterisierungen des Reichstags durch Haug von Werdenberg (1480) und Enea Silvio Pic-
colomini (1454). Vgl. die Relation Haugs von Werdenberg vom Nürnberger Reichstag 1480, in:
MH 111, Nr. 58, S. 139 sowie das an Kardinal Juan de Carvajal gerichtete Schreiben Enea Silvio
Piccolominis aus Wiener Neustadt, in: WoLKAN, Briefwechsel Abt. 3, Nr. 272, S. 460.
274 ALBANESE, La storiografia umanistica, S. 320f.
275 Aufforderung zur Beschickung des Reichstags an die Stadt Frankfurt, in: Regesten Fried-
richs III., Heft 4, Nr. 505 sowie Frankfurts Reichscorrespondenz 2,1, Nr. 411, S. 256.
 
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