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Burkhardt, Julia; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Reichsversammlungen im Spätmittelalter: politische Willensbildung in Polen, Ungarn und Deutschland — Mittelalter-Forschungen, Band 37: Ostfildern, 2011

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https://doi.org/10.11588/diglit.34753#0020

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II. Methodische Grundlegungen

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schiedlicher Gattungen berücksichtigt. Neben königlichen Verlautbarungen
zur Einberufung und Themenbestimmung der Versammlungen sind hier herr-
scherliche, fürstliche und städtische Korrespondenzen aus dem Umfeld der
Versammlungen, Sitzungsprotokolle, Gesandteninstruktionen und -berichte,
chronikalische Beschreibungen, Traktate und Abhandlungen, Verwaltungs-
akten sowie Dekrete und Beschlüsse der Reichsversammlungen zu nennen.
Damit vermag auch die Materialauswahl der Breite des Untersuchungskon-
zepts und seinem Anspruch, die spätmittelalterlichen Reichsversammlungen
in Polen, Ungarn und Deutschland in ihrer Ausformung und Entwicklung zu
beschreiben und nachzuzeichnen, gerecht zu werden.

II. Methodische Grundlegungen
Untersucht man die Form, die Funktion und schließlich die Position der
Reichsversammlung im jeweiligen politischen Kontext, so ist der Blick unwei-
gerlich auf diesen Kontext zu richten, auf die Verfassung oder das politische
System, wie man es politikwissenschaftlich ausdrücken könnte. Vor allem die
ältere Forschung zu Ständeversammlungen bediente sich solcher Kategorien,
nutzte zur Bezeichnung gesellschaftlicher Organisationsformen Begriffe wie
>Verfassung<, >Reich< oder >Staat<. Zuweilen wurde die Geschichte der ver-
schiedenen Formen politischer Willensbildung dabei in ein evolutionshisto-
risches Schema gepresst und prospektiv an einem Abstraktionsrahmen gemes-
sen, der noch nicht bestand. Auf die Grenzen dieses Ansatzes haben dagegen
jüngere politik- und kulturhistorische Forschungen verwiesen. Im Bemühen,
die vielfältigen Formen gesellschaftlicher Ordnung erfassen und auch aus der
Perspektive der Zeitgenossen beschreiben zu können, wurde verstärkt nach
sozialen Handlungen gefragt, nach Mechanismen der politischen Kommuni-
kation, nach der Bedeutung von symbolischem Handeln, Gesten und Ritualen.
Diese nunmehr anthropologisch orientierte Wissenschaft beschreibt Politik als
Handlungsraum, und historische Phänomene entsprechend als Resultate von

Powowylanie wladcy, S. 193f. zur Frage der Nutzbarkeit der »Annales« sowie zu ihrer Bedeu-
tung für die Erforschung ständischer Versammlungen StcoMNiAL, Corps representatifs, bes.
S.172-175.
27 Als Beispiel für den Versuch, das Wesen >des Reichstags< eindeutig zu erfassen, sind die er-
sten Bände der »Deutschen Reichstagsakten« zu nennen. Auf die Problematik verwies bereits
der Herausgeber des ersten Bandes (»Deutsche Reichstagsakten unter König Wenzel«), Julius
Weizsäcker: »Aber es ist schon von vornherein sehr schwer, wo nicht unmöglich, zu sagen,
was in der Zeit, um, die es sich zunächst handelt, und in der kaum der Name für diese Sache
vorkommt, ein Reichstag ist.... Es ist aber dann die Ausdehnung des Begriffs eher zu rechtfer-
tigen als seine Einschränkung.« WEizsÄCKER, Vorwort, in: RTA1, S. LIII. In der polnischen For-
schung ging eine von Juliusz Bardach als »Evolutionisten« bezeichnete Gruppe von Wissen-
schaftlern von der kontinuierlichen Entwicklung und Ausprägung des Sejms zwischen dem
14. und 16. Jahrhundert aus, provoziert durch die Impulse gesellschaftlicher Veränderungen.
Vgl. BARDACH, Poczqtki Sejmu, S. lOf. Zur Herausforderung der »Lösung« des Mittelalters aus
evolutionsgeschichtlichen Determinismen und der Verwendung einer »modernen Semantik
mit Mut zur Vieldeutigkeit« vgl. ScHNEiDMÜLLER, Vor dem Staat, S. 180.
 
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