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Burkhardt, Julia; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Reichsversammlungen im Spätmittelalter: politische Willensbildung in Polen, Ungarn und Deutschland — Mittelalter-Forschungen, Band 37: Ostfildern, 2011

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https://doi.org/10.11588/diglit.34753#0285

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284

E. Vergleichende Darstellung: omne simile est etiam dissimile

IV. Im Gedächtnis der Zeit: Historizität und
Wahrnehmung der Reichsversammlungen
Allen vorgestellten Beispielen für textliche und bildliche Darstellungen von
Verfahren politischer Beratung und ihren Rechtsgrundlagen ist eine Tradi-
tionsverhaftung gemein, eine explizite Bindung an >frühere<, an tradierte
Rechte, Pflichten und Konsensstrukturen. Deutlich wird dies ebenso in dem
Anspruch zur Dokumentation von Rechtsgewohnheiten in Gesetzbüchern
wie in der durch die Goldene Bulle geprägten Vorstellung vom Reich als einer
königlich/kaiserlich-kurfürstlichen Handlungsgemeinschaft. Auch zeitgenös-
sische Auffassungen und Beurteilungen einzelner Akteure, die nicht für eine
breite Öffentlichkeit formuliert und somit nicht unbedingt gezielt verbreitet
wurden, wiesen eine starke Bezugnahme auf vergangene Strukturen, Verfah-
ren und Ereignisse im jeweiligen Ordnungsgefüge auf. Diese Beobachtung
wirft die Frage nach den Anlässen auf, welche die Erzeugung und Verbrei-
tung bestimmter Vergangenheitsbilder sowie die Orientierung an der jeweils
geschaffenen Tradition begründeten.^ In den folgenden Ausführungen fin-
den deshalb zunächst Beispiele für die Verortung der Reichsversammlungen
in einem historischen Kontext, für die Zuschreibung von Traditionen und die
Nutzung bestimmter Vergangenheitsmuster Berücksichtigung. Sodann soll
das Spektrum zeitgenössischer Wahrnehmungen von Reichsversammlungen
und schließlich ihr Stellenwert im jeweiligen Ordnungsgefüge in den Blick ge-
nommen werden.^" Dabei geht es nicht um eine nachträgliche Konstruktion
von Ordnungsvorstellungen, sondern vielmehr um eine Annäherung an zeit-
genössische Bewertungen, Ordnungsvorstellungen und -behauptungen und
ihre Auswirkung auf das jeweilige Ordnungsgefüge.^
Zu bedenken ist zweierlei. So ist für mittelalterliche politische Gemein-
schaften keinesfalls von geschlossenen und eindeutigen Vorstellungen ver-
gangener und gegenwärtiger Ordnungen auszugehen, sondern vielmehr von
Formen und Verfahren, die zur Bewältigung alltäglicher, situativer Heraus-
forderungen entwickelt wurden.^ Dies gilt gleichermaßen für die Rezeption
und Beurteilung politischer Willensbildung: Beobachtet wurden nicht die In-
stitution >der Reichsversammlung<, sondern vielmehr das jeweilige Ereignis,
seine Begebenheiten, Verfahren und Strukturen, die von einzelnen Akteuren in

139 Vgl. zu dieser Fragestellung ALGAzi, Gelehrter Blick, S. 318.
140 S. dazu - mit Bezug auf die Wahrnehmung des Reichstags im 16. Jahrhundert - LANziNNER,
Einleitung, S. 24. Tatsächlich sind hierbei Wahrnehmungsmuster nachzuzeichnen, sind mehr-
fach artikulierte Ansichten und Argumentationen darzustellen und zu kontextualisieren. Aus
diesem Grund wird allgemein von der Wahrnehmung >der Teilnehmer an Reichsversamm-
lungern gesprochen, nicht jedoch differenziert nach einzelnen Gruppen von Kurfürsten/ Mag-
naten, Fürsten und Grafen bzw. Vertretern der Szlachta und der Städte; von einer homogenen
Sichtweise der Reichstagsteilnehmer ist dabei freilich nicht auszugehen. Eine differenziertere
Darstellung bieten die einschlägigen Fallstudien in den Kapiteln B-D.
141 JussEN, Diskutieren über Könige, S. XV. Vgl. dazu auch die kritischen Überlegungen bei
ScHNEiDMÜLLER, Vor dem Staat, S. 183.
142 KiNTziNGER/ ScHNEiDMÜLLER, Politische Öffentlichkeit, S. 16.
 
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