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Burkhardt, Julia; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Reichsversammlungen im Spätmittelalter: politische Willensbildung in Polen, Ungarn und Deutschland — Mittelalter-Forschungen, Band 37: Ostfildern, 2011

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https://doi.org/10.11588/diglit.34753#0244

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I. Gesellschaftliche Strukturen im spätmittelalterlichen Polen, Ungarn und Deutschland 243

I. Gesellschaftliche Strukturen im spätmittelalterlichen
Polen, Ungarn und Deutschland
Erste Anhaltspunkte für einen Vergleich der gesellschaftlichen Strukturen und
des politischen Ordnungsgefüges im spätmittelalterlichen Polen, Ungarn so-
wie Deutschland vermag die Betrachtung flächenhaft-territorialer Kriterien
und deren Bedeutung für die Durchdringung des betreffenden Herrschafts-
raums zu geben. Sowohl im Falle des polnischen als auch des deutschen Reichs
erschwerte die räumliche Ausdehnung der Länder, darauf hat Hans-Jürgen
Bömelburg hingewiesen, eine einheitliche machtpolitische und administrative
Durchdringung des gesamten Territoriums wie auch den Aufbau umfassender
Kommunikationsstrukturen erheblich.^ Bei beiden Reichen handelte es sich
um komplexe Gefüge, in denen der Herrscher mit Teilhabeansprüchen sowohl
ständisch als auch lokal bestimmter Akteure konfrontiert wurde. Ebenso wie die
Besucher der deutschen Reichsversammlungen nicht losgelöst von territorial-
politischen Belangen und Interessen verhandelten, lässt sich auch im Falle Po-
lens eine Orientierung der politischen Akteure an Gebietseinheiten wie z.B.
Groß- und Kleinpolen und eine entsprechende Gruppenbildung erkennen. In
dieser Hinsicht gilt es für das Königreich Ungarn, die häufig vertretene These
einer einheitlichen Verwaltung des Königreichs zu relativieren, wiesen doch
die dem Königreich zugehörigen Gebiete Siebenbürgen, Slawonien oder Kroa-
tien eigenständige Strukturen in Regierung und Verwaltung aut.' Gleichwohl
scheint man von einer »strukturellen Multizentralität« (Bömelburg) vielmehr
bei den Beispielen Polens und des Reichs ausgehen zu können als im Hinblick
auf Ungarn.
Diese Feststellung gilt nicht allein für die Vielzahl regionaler und lokaler
Akteure und Gruppen, die für sich politische Teilhabe einforderten, sondern
auch für die Ortsgebundenheit der Herrscher. Sowohl Friedrich III. als auch
Kazimierz IV. demonstrierten durch ihre persönliche Präsenz und die Gestal-
tung der politischen Tagesordnung eine enge Bindung an ihre Hausmachtge-
biete, die österreichischen Erbgebiete der Habsburger und das Großfürsten-
tum Litauen. Lange Phasen der Abwesenheit des Herrschers vom Binnenreich
zogen eine zunehmende politische Entfernung von den Kommunikationszen-
tren im Reich nach sich, die sich in ständischer Kritik an der Herrschaft oder
entschiedenen Forderungen nach Teilhabe an politischen Entscheidungen
ausdrücken konnte. Besonders deutlich wird dies am Beispiel des deutschen
Reichs, in dem Friedrich III. während seiner beinahe 27jährigen Abwesenheit

12 Bömelburg beziffert die räumliche Ausdehnung beider Länder im 15. und 16. Jahrhundert mit
rund 700.000-800.000 krrh (Deutschland) bzw. 900.000-1.000.000 krrh (Polen). Damit waren
beide Reiche neben dem Einflussbereich Moskaus und dem Osmanischen Reich die größ-
ten Staatsverbände Europas. BÖMELBURG, Tradition einer multinationalen Reichsgeschichte,
S. 325. Schon 1966 hatte auch Friedrich Hermann Schubert auf diesen Sachverhalt verwiesen:
»Unter den abendländischen Staatsgebilden umfaßte das Heilige Römische Reich neben Polen
das ausgedehnteste geographische Gebiet.« SCHUBERT, Die deutschen Reichstage, S. 25.
13 BAK, Königreich Ungarn, S. 48.
 
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