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Burkhardt, Julia; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Reichsversammlungen im Spätmittelalter: politische Willensbildung in Polen, Ungarn und Deutschland — Mittelalter-Forschungen, Band 37: Ostfildern, 2011

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https://doi.org/10.11588/diglit.34753#0262

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III. Vereinbarung: Ablauf und Verhandlungen

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III. Vereinbarung: Ablauf und Verhandlungen
Für die meisten Reichsversamm)ungen bildete, wie am Beispiel der Einberu-
fung verdeutlicht wurde, das Wohl des Reichs und auch der Gemeinschaft ei-
nen inhaltlichen Bezugsrahmen. So handelte es sich bei der in allen Reichen
wiederholt postulierten Wahrung der Einheit und des Wohls des Reichs um
eine Pflicht, der das Reichshaupt und die Reichsglieder gleichermaßen nachzu-
kommen hatten und die damit die Zusammengehörigkeit des Herrschers und
der Stände charakterisierte. Die Vorstellung des Gemeinwohls bot eine Lösung
für die Herausforderung, unterschiedliche Einheiten in ein übergeordnetes
Ganzes zusammenzufassen, und zeitigte damit eine durchaus integrative Wir-
kung.^ Um die postulierte Zusammengehörigkeit jedoch auch politisch nutzbar
machen zu können, um die politische Gemeinschaft also zum Gemeinhandeln
zu gemahnen und zugleich zu aktivieren, waren im Kontext akuter Bedarfsfälle
jeweils das allgemeine Anliegen und damit Form sowie Umfang der Teilhabe an
der Herrschaft zu bestimmen.^ Dieser Zusammenhang war vor allem in außen-
politischen Angelegenheiten und den damit zusammenhängenden finanzi-
ellen Fragen herzustellen. Tatsächlich erwiesen sich diese beiden Themenfelder
als Kernthemen politischer Beratung und definierten damit gewissermaßen
Kompetenzbereiche der jeweiligen Reichsversamm)ungen. ^ Dass zumeist aku-
te und dringliche Anliegen verhandelt wurden, lassen freilich auch gewisse
Grundstrukturen politischer Beratung erkennen, die für alle untersuchten Fall-
beispiele nachgewiesen sind.^
Nach der Eröffnung der Reichsversammlungen durch den Herrscher oder
seine Stellvertreter diente die erste gemeinsame Sitzung dem mündlichen Vor-
trag und der Präsentation der herrscherlichen Forderungen. Entsprechend den
in den Ausschreibungen angekündigten Themen war damit die Agenda der
zu behandelnden Sachverhalte vorgegeben, die durchaus um ständische An-
liegen erweitert werden konnte. Uber die geforderten Maßnahmen oder Abga-
ben wurde während der weiteren Sitzungen debattiert und sodann in einer ab-
schließenden Sitzung mit Meinungsumfrage befunden; schließlich wurde das
Ergebnis der Verhandlungen bekanntgegeben und die Versammlung durch

63 IsENMANN, Notion of the Common Good, S. 123.
64 IsENMANN, Notion of the Common Good, S. 106. Dabei wurde, wie Isenmann herausgearbeitet
hat, der Begriff des >gemeinen Nutzens< zunächst defensiv verstanden, im Hinblick auf eine
Verteidigung der Gemeinschaft nach außen hin. Dagegen zielte das Konzept des Gemein-
wohls stärker auf die Steigerung des öffentlichen Wohls im Interesse seiner Einwohner. Ebd.,
S. 113. Vgl. auch EBERHARD, Theorie ständischer Repräsentation, S. 100.
65 Freilich ist auch in dieser Frage auf die Verbindung mit den in Ungarn und Polen verbrieften
Adelsrechten zu verweisen. So durfte der König in keinem der beiden Reiche das Allgemeine
Aufgebot zur Landesverteidigung einberufen oder außerordentliche Steuern erlassen ohne
die Zustimmung des Adels dafür einzuholen. Vgl. Russocxi, Parliamentary Systems, S. 16.
66 Kolja Lichy hat zuletzt von einem »Grundschema« gehandelt, an dem sich der Sitzungsver-
lauf ständischer Versammlungen im frühneuzeitlichen Europa orientiert habe. Dieses Grund-
schema werde wesentlich durch die »institutionalisierte Kommunikation« (Helmrath) der
Parlamentsreden strukturiert. LicHY, Rhetorik und Zeremoniell, S. 160. Vgl. auch HELMRATH,
Art. >Parlamentsrede<, S. 589.
 
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