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Burkhardt, Julia; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Reichsversammlungen im Spätmittelalter: politische Willensbildung in Polen, Ungarn und Deutschland — Mittelalter-Forschungen, Band 37: Ostfildern, 2011

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https://doi.org/10.11588/diglit.34753#0254

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II. Die Reichsversammlungen als Ereignis

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II. Die Reichsversammlungen als Ereignis
Die Einberufung von allgemeinen Versammlungen diente im späten Mittel-
alter der Beratung, Verhandlung und schließlich der gemeinsamen Entschei-
dung von bestimmten Angelegenheiten des Reichs. So könnte ein Versuch
lauten, die Spezifika verschiedener politischer Zusammenkünfte möglichst
grundlegend und konsensfähig zusammenzufassen. Freilich ist dieser Satz all-
zu vorsichtig formuliert und hat so kaum signifikante Aussagekraft. Gleich-
wohl kündet er jedoch von einer der wesentlichen Herausforderungen bei der
Beschreibung und Charakterisierung spätmittelalterlicher Reichsversamm-
lungen: Eine Kategorisierung der Einladungen zu jenen Tagen, ihrer Zustän-
digkeitsbereiche und schließlich ihrer Teilnehmerkreise scheint angesichts
des Mangels an umfassenden und grundlegenden Präskriptionen zunächst
unmöglich. Als gesichert kann vor allem - dies bemerkte Christian Meier mit
einem gewissen Staunen - Folgendes gelten: »Ob sie nun Parlament, Cortes,
Etats Generaux, Reichs- oder Landtag oder auch Sejm heißen, die Könige und
Fürsten des 13. und 14. Jahrhunderts scheinen sie gebraucht zu haben.<<
Tatsächlich verweist auch Meiers Beschreibung auf einen für das Zustan-
dekommen spätmittelalterlicher Reichsversammlungen wesentlichen Aspekt -
den Bedarfsfall nämlich, die situative und bedarfsbezogene Einberufung der
Versammlung. Wie die Fallvorstellungen zum polnischen Sejm sowie zu den
ungarischen und deutschen Reichsversammlungen gezeigt haben, wurde die
Einberufung der Versammlung zumeist mit akuten außenpolitischen Proble-
men und dem dadurch bedingten Bedarf des Herrschers an finanzieller oder
personeller Unterstützung begründet. Der jeweils aktuelle Sachzusammenhang
wurde in der Regel argumentativ in den gleichsam übergeordneten Bezugs-
rahmen des Königreichs eingebettet, so dass im Vorfeld der Verhandlungen
sowohl an eine ganz grundsätzliche Verantwortung der Eingeladenen gegenü-
ber dem Reich appelliert als auch die akute Notwendigkeit zur gemeinsamen
Abstimmung betont wurde. Im Gegensatz zu den Anstößen zur Einberufung
der polnischen, ungarischen und deutschen Reichsversammlungen, die sich in
ihrem Situationsbezug also durchaus entsprechen, sind hinsichtlich der zeit-
genössischen Vorstellung von Zustimmung und Partizipation deutliche Ab-
weichungen zu konstatieren, die mit den politischen Konfigurationen der ein-
zelnen Länder zu erklären sind. In Deutschland etwa forderte Friedrich III. in
lehnsrechtlicher Tradition regelmäßig kategorisch die Hilfe und den Beistand
der Reichsglieder ein, und erinnerte sie vor den Reichsversammlungen an ihre
Pflicht und Schuldigkeit gegenüber Herrscher und Reicht In Polen und Un-
garn wurde mehrfach entschieden auf das im Römischen Recht formulierte

42 MEiER, Parlamentarische Demokratie, S. 66.
43 Exemplarisch sei hier die Ausschreibung des Nürnberger Reichstags 1487 durch Kaiser Fried-
rich III. genannt. Neben der Aufforderung zur Teilnahme am Reichstag wurden darin für den
Fall einer Missachtung Strafen angekündigt und auf die Pflichtigkeit des Empfängers verwie-
sen: als du Mus, dem id. Reicde, deutscher MadoM Mud dir seiest ZM fM?ide süuddig Msf (RTA MR 2,1,
Nr. 9, S. 112).
 
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