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Burkhardt, Julia; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Reichsversammlungen im Spätmittelalter: politische Willensbildung in Polen, Ungarn und Deutschland — Mittelalter-Forschungen, Band 37: Ostfildern, 2011

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https://doi.org/10.11588/diglit.34753#0167

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166

D. Deutsche Reichsversammlungen

Billigung des Königs in beinahe oppositioneller Absicht abgehalten wurden.^
Da die Einberufung, Abhaltung und Leitung von Zusammenkünften des Herr-
schers und der Fürsten im Reich traditionell dem König oblag, galt es im Falle
seiner Abwesenheit stets, das entstandene Legitimations- und Führungsvaku-
um zu kompensieren. Königlose Tage traten entsprechend häufig als Element
der Konfliktbewältigung in Erscheinung, etwa wenn das soziale und verfas-
sungspolitische Gefüge des Reichs ins Wanken geraten war und konkrete Pro-
bleme rasche Vorgehensweisen erforderten, oder - nicht minder ausschlagge-
bend - wenn eine Situation als derart dringlich wahr genommen wurde.
Dabei mussten Versammlungen, die in Abwesenheit des Herrschers abge-
halten wurden, keinesfalls unweigerlich eine Gefährdung für dessen Position
im Reich darstellen; zunehmend wurden vielmehr auch königlose Zusammen-
künfte als geeignete Foren zur Entscheidung reichsweiter Angelegenheiten an-
gesehen, wie das Beispiel des Frankfurter Reichstags von 1427 illustriert. Die
Frankfurter Versammlung war nämlich in Abwesenheit König Sigismunds,
aber doch mit dessen Zustimmung unter dem Vorsitz des englischen Kardi-
nals Beaufort abgehalten worden, um über eine Landfriedensordnung und
eine Steuererhebung zur Finanzierung des Kampfs gegen die Hussiten zu be-
finden.^ Tatsächlich wurde in Frankfurt von Kardinal Beaufort und den an-
wesenden Fürsten erstmalig eine allgemeine Steuer beschlossen, die von allen
Reichsgliedern in Geld zu entrichten war/'" Die Abwesenheit des Herrschers,
dem allein nach wie vor Beginn und Durchführung allgemeiner Zusammen-
künfte zustanden, konnte offenbar durchaus von der Handlungsgemeinschaft
der Kur- und auch Fürsten kompensiert werden - da sie zum Wohl des Reichs
und dezidiert mit der Billigung des Herrschers agierte.
Mit der Ausformung eines geschlossenen kurfürstlichen Agierens im Rah-
men eigenständiger Zusammenkünfte waren grundsätzliche Überlegungen zur
Ordnung des Reichs und konkrete Bemühungen um deren Veränderung und
Stabilisierung verbunden. In der Forschung zumeist unter dem eingängigen
Begriff der >Reichsreform< subsumiert, handelte es sich bei den unterschied-
lichen Reformvorschlägen freilich keinesfalls um ein konzises >Programm< zur
grundlegenden Veränderung des Ordnungsgefüges im Reich. ' Vielmehr sind
die zahlreichen (kur-)fürstlichen und auch kaiserlichen Reformbestrebungen

28 Zum Phänomen des königlosen Tags und seiner zeitgenössischen Bezeichnung vgl. ANNAS,
Ho ftag 1, S. 137-157.
29 Sicherlich dürfte auch das Wissen, dass der Frankfurter Reichstag, obgleich nicht vom König
einberufen, doch mit der Zustimmung Sigismunds vonstattenging, das Vertrauen der Teil-
nehmer in die Institution des Reichstags und das Zustandekommen von Beschlüssen gestärkt
haben. Ausschreibung und kaiserliche Zustimmung in: RTA 9, Nr. 50 bzw. 61. Vgl. dazu auch
KocH, Räte auf deutschen ReichsverSammlungen, S. 25 sowie zum Kontext des Reichstags
HoENSCH, Kaiser Sigismund, S. 329ff.
30 Dabei handelte es sich um eine aus Einkommenssteuer, Vermögensabgabe, ständischer Per-
sonalsteuer und Kopfgeld der Juden kombinierte Steuer, die nach Bezirken eingezogen und
in Nürnberg von einem Gremium kurfürstlicher und städtischer Vertreter verwaltet werden
sollte. Zur >Hussitensteuer< vgl. WEFERS, Die Wirkung des Hussitenproblems, S. 102-107.
31 Zum Einfluss von spätmittelalterlichen Kirchenreformkonzepten und Konzilsstrukturen auf
Reformvorschläge für das Reich vgl. BoocKMANN, Uber den Zusammenhang von Reichs-
 
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