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Burkhardt, Julia; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Reichsversammlungen im Spätmittelalter: politische Willensbildung in Polen, Ungarn und Deutschland — Mittelalter-Forschungen, Band 37: Ostfildern, 2011

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https://doi.org/10.11588/diglit.34753#0194

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III. Vereinbarung: Ablauf und Verhandlungen

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sogar Europas dargestellt werden können, war bei der Diskussion der >Un-
garnfrage< hingegen plausibel zu machen, weshalb finanzielle und personelle
Ressourcen der Kur- und Reichsfürsten für einen Krieg zur Verteidigung der
kaiserlichen Erbländer auf ge wendet werden sollten. Mehrfach wurde in die-
sem Zusammenhang daher die Gemeinschaft des Reichs beschworen und auf
die Position der Reichstagsteilnehmer darin verwiesen. So hatten sie als Glieder
des Reichs nicht nur an dessen Angelegenheiten teil, sondern waren auch zu
seinem Schutz und seiner Wahrung verpflichtet.^ Mangelnde Bereitschaft zur
Wahrung und Verteidigung des Reichs dagegen bewirkten dessen nachhaltige
Schädigung.'^ Auf dieser Argumentation basierten auch die dezidierten Hilfs-
bitten des Kaisers, die zumeist im Zentrum der Erörterung außenpolitischer
Konflikte standen. Dabei handelte es sich um konkrete Aufforderungen des
Kaisers an die Reichstagsteilnehmer, z.B. bestimmte Truppenkontingente oder
Geldsummen für einen bestimmten Zweck wie die Verteidigung von Teilen des
Reichsgebiets oder einen aktiven Kriegszug bereitzustellen. Entsprechend
standen neben der Bewilligung an sich auch Modelle der Reichshilfeleistung,
also die Art der Verteilung der anfallenden Belastungen auf die beteiligten Per-
sonen und schließlich die Umsetzung der Hilfe, die Geld- oder Truppensamm-
lung, zur Verhandlung.
Aus der Zugehörigkeit zur Gemeinschaft des Reichs ließen sich neben Ver-
pflichtungen freilich auch Ansprüche auf Einflussnahme und Gestaltung ablei-
ten und begründen. Auch hier ließ die Beschwörung von Bildern der Erschüt-
terung des Ordnungsgefüges durch Streitigkeiten und Rechtskonflikte oder
allzu hohe finanzielle Belastungen ein Zusammenrücken und Gemeinhandeln
aller seiner Glieder plausibel erscheinen.'^' Im Wissen um den jeweiligen aku-
ten Bedarf an Hilfeleistung versuchten deshalb vor allem die Kurfürsten auf
zahlreichen Reichsversammlungen, die Bereitschaft von Hilfszusagen an die
Realisierung ihrer Vorstellungen einer politischen Ordnung im Reich zu knüp-

148 1486 etwa rief der Kaiser die Eingeladenen zur persönlichen Teilnahme am Reichstag auf, um
die >Ungarnfrage< zum Wohl des Kaisers, des Reichs und der Nation zu behandelt. Schreiben
an Albrecht von Brandenburg, in: RTA MR 1, Nr. 53, S. 108. In den Verhandlungen bat der kai-
serliche Anwalt die Teilnehmer der Reichsversammlung mit der traditionellen Bitte um n?;d,
MMd AfsUnf um eine einmalige Reichshilfe gegen Ungarn. Protokoll des Kurmainzer Kanz-
lers, in: RTA MR 1, Nr. 311, S. 313. Ein Jahr später appelherte der Kaiser im Ladungsschreiben
an die Verantwortung der Adressaten als die oor&rsfe?i Mud mei/sUM gehder des /d. Rieds ..., die
den iMMdei in sei/nen JrMeddwreM gang deren wogen (RTA MR 2, Nr. 382, S. 493). Vgl. zu diesem
Thema auch die Ausführungen zu den Gemeinschaftsvorstellungen auf Reichstagen in Ab-
schnitt 4 dieses Kapitels.
149 Wen[n] wo nif /nrderiiede dnifgedon wnrde, so wnrde nnnderwi/ntiieder sedade dnrnj? derwnssen, wii
/ii dreJJ'iieder erwnnnng. Eröffnungsrede des kaiserlichen Rats von Wolkenstein zum Frankfur-
ter Reichstag 1489 nach dem Bericht des Hans von Seckingen, in: RTA MR 3,2, Nr. 278c, S. 1075.
150 Im Unterschied zu der im Hochmittelalter praktizierten Form der Herrscherbitte handelte es
sich bei derartigen Anfragen an die Versammlung »nicht mehr um eine situative Bitte, mit der
individuelle Leistungen oder Gaben eingefordert wurden, sondern um einen fest abgesteck-
ten Rahmen, der genau Anlass und Umfang der Anliegen regelte.« GARNIER, Kultur der Bitte,
S. 377ff.
151 Dies geschah vor allem auf den >Reformreichstagen< der 1450er Jahre. Vgl. dazu Kapitel D.11.1.
sowie zum Verständnis der Kurfürsten als Säulen des Reichs Kapitel D.1.2.
 
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