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Burkhardt, Julia; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Reichsversammlungen im Spätmittelalter: politische Willensbildung in Polen, Ungarn und Deutschland — Mittelalter-Forschungen, Band 37: Ostfildern, 2011

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https://doi.org/10.11588/diglit.34753#0299

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298

F. Zusammenfassung

Integration in die politische Gemeinschaft stellte die persönliche Anwesenheit
der Eingeladenen eine wesentliche Voraussetzung dar. Den Zeitgenossen er-
öffneten sich damit gleichzeitig Möglichkeiten zur Kommunikation von Kri-
tik an Sachlagen oder Strukturen. Verschiedentlich demonstrierten sie eigene
politische Ansprüche oder ihren Dissens mit der königlichen Politik durch ein
verspätetes Eintreffen, ein verfrühtes Verlassen der Versammlung, die Ver-
weigerung der Teilnahme oder aber die Anwesenheit trotz Fehlens einer Ein-
ladung. Die Sitzungen des Sejms, die mehrheitlich in der großpolnischen Stadt
Piotrköw stattfanden, wurden durch den König eröffnet und in seiner Gegen-
wart abgehalten. Sowohl räumlich als auch hinsichtlich des Ablaufs wurden
die Verhandlungen durch die Hierarchie der Teilnehmer strukturiert: der Rang
der Anwesenden bildete sich in der Sitzordnung ab und entschied zugleich
über die Reihenfolge der Abstimmung.
Thematischbestimmten königliche Forderungen nach der Bewilligung außer-
ordentlicher Steuern und nach militärischer Unterstützung in den Kämpfen
gegen den Deutschen Orden, Ungarn oder die aus dem Süden vordringenden
osmanischen Truppen die Versammlungen. Gleichzeitig wurden diese als Fo-
rum zum Austrag innenpolitischer Konflikte und zur (Wieder-) Herstellung
der Einigkeit unter den beteiligten Reichsgliedern genutzt. Sowohl der König
als auch die adeligen Teilnehmer brachten die allgemeine Versammlung, die
coywcMÜo gcncrahs, mit Angelegenheiten in Verbindung, die das gesamte Reich
betrafen. Für den König bot sich hier die Gelegenheit, Beschlüsse gemeinsam
mit den Großen des Reichs zu vereinbaren und diese damit auch auf deren
Umsetzung zu verpdichten. Aus der Sicht zahlreicher Adelsvertreter war die
Zuständigkeit des Sejms für reichsweite Fragen vor allem auf die Vorstellung
zurückzuführen, dass der adeligen conmmmhzs aufgrund der privilegierten
Stellung des Adels und vor allem seines Königswahlrechts eine Verantwortung
zur Bewahrung des Königreichs und seiner Rechte zukam.
Die Etablierung des Sejms als auch hierarchisch übergeordnete Versamm-
lung im Königreich erfolgte jedoch erst gegen Ende des 15. Jahrhunderts. Bis
dahin war ein paralleles Funktionieren des Sejms, der Provinziallandtage von
Groß- und Kleinpolen sowie der einzelnen Landtage charakteristisch für das
Versammlungswesen. Bereits unter Kazimierz IV. hatte sich die Verknüpfung
dieser unterschiedlichen Versammlungsformen abgezeichnet. So wurden
Sachverhalte, die im Rahmen des Sejms ergebnislos diskutiert worden waren,
bisweilen zur Entscheidung an die Versammlungen der Provinzen Groß- und
Kleinpolen verwiesen. Diese Zusammenkünfte stimmten sich in ihrem Ent-
scheidungsfindungsprozess wiederum untereinander ab, so dass füglich von
einer institutioneilen Verdichtung im Prozess der politischen Willensbildung
zu sprechen ist. Infolge der Kommunikation zwischen diesen Versammlungen
prägte sich ein Stellvertreterwesen aus den Ländern aus, das gegen Ende des
15. Jahrhunderts mit der Entsendung der Landboten von den Landtagen zum
Sejm zum festen Bestandteil der politischen Ordnung avancierte.
Während der Herrschaft von Mätyäs Hunyadi (1458-1490) wurde auf kö-
nigliche Einladung hin beinahe jährlich eine Reichsversammlung abgehalten.
Ähnlich wie in Polen verfügte auch in Ungarn der gesamte Adel im Reich über
 
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