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Münchner kunsttechnische Blätter.
Nr 7.
so ist dieser Beweis nicht erst zu erwarten:
Herrn Lauries eigene Versuche haben ihm ge-
zeigt, dass der „spiegelnde" Glanz nicht zustande
kam, und durch die chemischen Analysen von
Chevreul und Geiger aus älterer, von Eibner und
Raehlmann aus jüngster Zeit ist das Vorhanden-
sein organischer Substanzen zweifellos nachge-
wiesen worden*). In seinen „conclusions" aus
den Resultaten der chemischen Analysen (S. 104)
gibt Herr Laurie auch selbst zu, dass „in manchen
Fällen ein organisches Medium von stickstoff-
artigem Charakter, wie etwa Ei, Milch oder Leim,
in den unteren Bewurfsschichten (the under plaster)
vorhanden war", wenn er auch gleich darauf es
unentschieden lässt, ob es zum Malen auf trockener
Fläche oder auf feuchtem Kalk gebraucht worden
sei „in der Art eines modifizierten buon fresco".
Wie soll es denn aber dahin gelangt sein, wenn
nicht durch Zumischung zum Grunde oder zu den
Farben? Und denselben Ausdruck des modi-
fizierten buon fresco braucht er kurz vorher
(S. 103) dafür, dass „in einigen Fällen die auf
die trockene Wandfläche aufgetragenen Farben
mit Kalkmilch vermischt waren". Aber ist dies
überhaupt noch Fresko zu nennen? Es ist ein-
fache Kalkmalerei, die keine 20, geschweige denn
2000 Jahre der Feuchtigkeit der Lapillischicht
hätte widerstehen können, da bekanntlich Kalk
mit der Zeit in Wasser löslich ist. Ein wahres
Glück, dass die antiken Wandmalereien nicht in
diesem „modifizierten Fresko" ausgeführt worden
sind!
Woher denn nun — so fragt man sich —
dieses beharrliche Festhalten an dem Namen
„Fresko"?
Weil Vitruv in dem 3. Kapitel des VII. Buches,
wo er die Bereitung und Färbung des Wand-
stucks beschreibt, ein Bindemittel überhaupt nicht
erwähnt (S. 81: no such medium [as glue] is
mentioned by Vitruvius), so setzt man voraus,
dass es sich nur um Wasser, die Farbstoffe
flüssig zu machen, handeln könne, und diese Vor-
aussetzung beeinflusst dann die weitere Unter-
suchung. Aber auch das Wasser wird hier
nirgends ausdrücklich erwähnt; erst einige Seiten
später (Kap. 4, 3), wo von einer ganz anderen
Sache, dem Kalkanstrich von Wänden an feuchten
Plätzen, die Rede ist, heisst es: (parietes) calce
ex aqua liquida dealbentur, und es ist viel-
leicht doch nicht bedeutungslos, dass da das
*) Sicherlich hatten diese Zusätze einen bestimmten
Zweck. Ich habe vermutet, dass dadurch und durch
die Stukkoiustrogiättung mit heissen Eisen eine che-
mische Verbindung der fettigen Substanz mit dem
Kaik (eine Kaikseife) bewirkt werde, die in Wasser
untösüch ist. Es hat aber auch Raehlmanns Ansicht
viel für sich, dass die organischen Eiweissstoffe sich
mit dem Kalk zu Kalziumalbuminaten von besonderer
zementartiger Festigkeit verbinden (s. dessen Schrift
„Ueber die Mal. der Alten", Berlin 19:0, S. 84).
reine Wasser betont wird. Ueberhaupt aber
wird in dem ganzen langen Kap. 3 immer nur
von den technischen Operationen und den Werk-
zeugen der Stuckarbeiter (tectores) berichtet; die
Maler (pictores) werden gar nicht genannt, denn
wo später von den picturae die Rede ist, handelt
es sich nicht um das Technische der Wand-
malerei, sondern um die Dekorationsmotive, wo-
bei der „moderne" schlechte Geschmack getadelt
wird. Und von den Farben wird nur ganz all-
gemein gesagt, dass sie auf den feuchten Stuck
aufgetragen werden (colores udo tectorio indu-
cuntur), ohne dass wir erfahren, in welcher Weise,
mit welchen Werkzeugen und in welcher Zuberei-
tung der Auftrag geschieht. In den späteren
Kapiteln 8—14 jedoch, wo die Herstellung der
einzelnen Farben genau beschrieben wird, werden
mehrere Bindemittel genannt. Ich greife nur ein
Beispiel heraus und verweise im übrigen auf mein
Buch (vgl. z. B. S. Q3 & und anderwärts), worin
alles, was mir bekannt war, berührt und nichts,
was meiner Ansicht entgegensteht, unterschlagen
ist. Das atramentum (Russ-, Kien- und Reben-
schwarz), von Plinius zum Unterschied von der
Schreibtinte tectorium zubenannt, wurde in einem
Mörser mit Leim angerieben (Vitruv VII, IO,
2. 3). Herr Laurie erklärt dies S. 25 aus Gründen
der Zweckmässigkeit im Handelsverkehr, weil es
als Farbstoff sehr unhandlich (very unmanageable)
und schwer mit Wasser anzufeuchten sei, findet
jedoch S. 26, dass die zitierten Stellen Vitruvs
„have no reference to the actual medium of
painting". Und doch lesen wir da, dass die
tectores, wenn sie selbst das atramentum zu-
bereiten, glutinum admiscentes in parietibus
utuntur, und dass die atramenta contrita cum
glutino in opere inducuntur. Ist es nach diesem
und nach ähnlichen Zeugnissen, und da auf chemi-
schem Wege organische Bindemittel deutlich nach-
gewiesen sind, eine verwerfliche, ganz unerhörte
Vermutung, es könnten diese organischen Stoffe
mitzuverstehen sein unter den „aus anderen
Potenzen zusammengebrachten Grund- oder Ur-
stoffen", welche nach Vitruv VII 3t 7 der seiner
natürlichen Feuchtigkeit beraubte und porös ge-
wordene gebrannte Kalk an sich zieht und zu
einer homogenen festen Masse von eigener Art
(sui generis) in sich verschmilzt? Herr Laurie
übersetzt S. 7$ die lateinischen Worte mixtioni-
busque ex aliis potestatibus conlatis seminibus
seu principiis so: „from the mixtures of the
various potentialities whose elements or first
principles are brought togehter"; andere über-
setzen noch etwas anders, denn mit der ungefügen
und schwerfälligen Schreibart Vitruvs gerade an
dieser Stelle haben alle Uebersetzer von jeher
ihre Not gehabt. Hätte hier nicht sein sonst so
äusserst vorsichtiger Skeptizismus Herrn Laurie
verlassen, so hätte er, wie anderwärts oft, sagen
Münchner kunsttechnische Blätter.
Nr 7.
so ist dieser Beweis nicht erst zu erwarten:
Herrn Lauries eigene Versuche haben ihm ge-
zeigt, dass der „spiegelnde" Glanz nicht zustande
kam, und durch die chemischen Analysen von
Chevreul und Geiger aus älterer, von Eibner und
Raehlmann aus jüngster Zeit ist das Vorhanden-
sein organischer Substanzen zweifellos nachge-
wiesen worden*). In seinen „conclusions" aus
den Resultaten der chemischen Analysen (S. 104)
gibt Herr Laurie auch selbst zu, dass „in manchen
Fällen ein organisches Medium von stickstoff-
artigem Charakter, wie etwa Ei, Milch oder Leim,
in den unteren Bewurfsschichten (the under plaster)
vorhanden war", wenn er auch gleich darauf es
unentschieden lässt, ob es zum Malen auf trockener
Fläche oder auf feuchtem Kalk gebraucht worden
sei „in der Art eines modifizierten buon fresco".
Wie soll es denn aber dahin gelangt sein, wenn
nicht durch Zumischung zum Grunde oder zu den
Farben? Und denselben Ausdruck des modi-
fizierten buon fresco braucht er kurz vorher
(S. 103) dafür, dass „in einigen Fällen die auf
die trockene Wandfläche aufgetragenen Farben
mit Kalkmilch vermischt waren". Aber ist dies
überhaupt noch Fresko zu nennen? Es ist ein-
fache Kalkmalerei, die keine 20, geschweige denn
2000 Jahre der Feuchtigkeit der Lapillischicht
hätte widerstehen können, da bekanntlich Kalk
mit der Zeit in Wasser löslich ist. Ein wahres
Glück, dass die antiken Wandmalereien nicht in
diesem „modifizierten Fresko" ausgeführt worden
sind!
Woher denn nun — so fragt man sich —
dieses beharrliche Festhalten an dem Namen
„Fresko"?
Weil Vitruv in dem 3. Kapitel des VII. Buches,
wo er die Bereitung und Färbung des Wand-
stucks beschreibt, ein Bindemittel überhaupt nicht
erwähnt (S. 81: no such medium [as glue] is
mentioned by Vitruvius), so setzt man voraus,
dass es sich nur um Wasser, die Farbstoffe
flüssig zu machen, handeln könne, und diese Vor-
aussetzung beeinflusst dann die weitere Unter-
suchung. Aber auch das Wasser wird hier
nirgends ausdrücklich erwähnt; erst einige Seiten
später (Kap. 4, 3), wo von einer ganz anderen
Sache, dem Kalkanstrich von Wänden an feuchten
Plätzen, die Rede ist, heisst es: (parietes) calce
ex aqua liquida dealbentur, und es ist viel-
leicht doch nicht bedeutungslos, dass da das
*) Sicherlich hatten diese Zusätze einen bestimmten
Zweck. Ich habe vermutet, dass dadurch und durch
die Stukkoiustrogiättung mit heissen Eisen eine che-
mische Verbindung der fettigen Substanz mit dem
Kaik (eine Kaikseife) bewirkt werde, die in Wasser
untösüch ist. Es hat aber auch Raehlmanns Ansicht
viel für sich, dass die organischen Eiweissstoffe sich
mit dem Kalk zu Kalziumalbuminaten von besonderer
zementartiger Festigkeit verbinden (s. dessen Schrift
„Ueber die Mal. der Alten", Berlin 19:0, S. 84).
reine Wasser betont wird. Ueberhaupt aber
wird in dem ganzen langen Kap. 3 immer nur
von den technischen Operationen und den Werk-
zeugen der Stuckarbeiter (tectores) berichtet; die
Maler (pictores) werden gar nicht genannt, denn
wo später von den picturae die Rede ist, handelt
es sich nicht um das Technische der Wand-
malerei, sondern um die Dekorationsmotive, wo-
bei der „moderne" schlechte Geschmack getadelt
wird. Und von den Farben wird nur ganz all-
gemein gesagt, dass sie auf den feuchten Stuck
aufgetragen werden (colores udo tectorio indu-
cuntur), ohne dass wir erfahren, in welcher Weise,
mit welchen Werkzeugen und in welcher Zuberei-
tung der Auftrag geschieht. In den späteren
Kapiteln 8—14 jedoch, wo die Herstellung der
einzelnen Farben genau beschrieben wird, werden
mehrere Bindemittel genannt. Ich greife nur ein
Beispiel heraus und verweise im übrigen auf mein
Buch (vgl. z. B. S. Q3 & und anderwärts), worin
alles, was mir bekannt war, berührt und nichts,
was meiner Ansicht entgegensteht, unterschlagen
ist. Das atramentum (Russ-, Kien- und Reben-
schwarz), von Plinius zum Unterschied von der
Schreibtinte tectorium zubenannt, wurde in einem
Mörser mit Leim angerieben (Vitruv VII, IO,
2. 3). Herr Laurie erklärt dies S. 25 aus Gründen
der Zweckmässigkeit im Handelsverkehr, weil es
als Farbstoff sehr unhandlich (very unmanageable)
und schwer mit Wasser anzufeuchten sei, findet
jedoch S. 26, dass die zitierten Stellen Vitruvs
„have no reference to the actual medium of
painting". Und doch lesen wir da, dass die
tectores, wenn sie selbst das atramentum zu-
bereiten, glutinum admiscentes in parietibus
utuntur, und dass die atramenta contrita cum
glutino in opere inducuntur. Ist es nach diesem
und nach ähnlichen Zeugnissen, und da auf chemi-
schem Wege organische Bindemittel deutlich nach-
gewiesen sind, eine verwerfliche, ganz unerhörte
Vermutung, es könnten diese organischen Stoffe
mitzuverstehen sein unter den „aus anderen
Potenzen zusammengebrachten Grund- oder Ur-
stoffen", welche nach Vitruv VII 3t 7 der seiner
natürlichen Feuchtigkeit beraubte und porös ge-
wordene gebrannte Kalk an sich zieht und zu
einer homogenen festen Masse von eigener Art
(sui generis) in sich verschmilzt? Herr Laurie
übersetzt S. 7$ die lateinischen Worte mixtioni-
busque ex aliis potestatibus conlatis seminibus
seu principiis so: „from the mixtures of the
various potentialities whose elements or first
principles are brought togehter"; andere über-
setzen noch etwas anders, denn mit der ungefügen
und schwerfälligen Schreibart Vitruvs gerade an
dieser Stelle haben alle Uebersetzer von jeher
ihre Not gehabt. Hätte hier nicht sein sonst so
äusserst vorsichtiger Skeptizismus Herrn Laurie
verlassen, so hätte er, wie anderwärts oft, sagen