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Münchner kunsttechnische Blätter — 8.1911/​1912

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Nr. 20
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Giov. Segantini und der Divisionismus, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.36590#0081

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Manchen, 24. Juni 1912.

Beilage zur „Werkstatt der Kunst" (E.A. Seemann, Leipzig).
Erscheint )4tägig unter Leitung von Maier Prof. Ernst Berger.

YIH.Jahrg. Nr. 20.

Inhait: Giov. Segantini und der Divisionismus. (Fortsetzung.) — Zur Einführung der Teerfarben. Von E. B.
Ein neues Verfahren der Freskomaierei. — Zur ged. Notiznahme.

Giov. Segantini und der Divisionismus. (Fortsetzung.)

Gegenüber dieser stürmischen und umstürzle-
rischen Kohorte steht Segantini ruhig und an-
spruchslos da, ein von Theorie und Ehrgeiz un-
berührter, schlicht den Geboten wachsender Not-
wendigkeit sich fügender Praktiker. Er folgte
einfach sachlichen Erwägungen, und die Theorie
hatte über ihn in derlei Dingen niemals Gewalt.
. . . Er wollte selbständig seinen Weg finden.
(Damit erledigt sich auch die Sage, wonach
der in verwandter Manier arbeitende Maler Pe-
lizza da Volpedo S.s „Lehrer" gewesen sei.)
Aber noch einen zweiten Vorteil verdankte
Segantini seinem geduldigen Ausharren und lang-
sam zähem Vordringen. Wenn er auch nicht als
der geschichtliche Ursprung jener Bewegung da-
steht, so war doch in ihm selber die Bewegung
durchaus ursprünglich. Und demnach ist seine
Ausdrucksweise innerhalb derselben von der aller
übrigen verschieden. Sie ist durch und durch
persönlich. Statt der runden schwankenden
Tupfen setzte er kleine feste Striche, Mosaik-
stifte.
Es fiel S. keinen Moment lang ein, die Linie,
von der sich jene mehr oder weniger deutlich
abwandten, auch nur im mindesten zu opfern.
Sie blieb ihm ebenso wichtig wie die farbige
Vibration des Lichtes. Und sein Problem
scheint recht eigentlich gewesen zu sein: Vibra-
tion und Linie zu vereinigen. . . .
Als erstes und wichtigstes bei allen seinen
Bildern stand ihm die gezeichnete, den Raum-
verhältnissen nach rhythmisch abgewogene
Komposition da. Von dieser liess er nie und
nimmer. Erst von ihr aus entwickelte sich das
andere. Und wenn das andere „Vibration des
Lichtes" sein sollte, so musste eben das Licht
um die festen Linien der Komposition vi-
brieren. . . .

Auf dem Bilde „Die Scholle" sind die ge-
nannten Vorzüge bereits alle vorhanden. Die
Klarsetzung des gesamten Bildes in die Formen-
sprache der divisionistischen Maltechnik,
also die Auflösung aller festen Flächen in
ein farbig bewegtes Gekrisel, das sich dann
doch wieder harmonisch zusammenzuschliessen
hatte. Jedem Grashalm, jeder Ackerkrume, jedem
Feldstein wurde jetzt gewissermassen sein Recht
erwiesen. Und nicht bloss, wo die pralle Sonne
hinfiel, auch dort, wo die Figuren ihre Schatten
werfen, musste Durchsichtigkeit herrschen. Vor
allem lebte der ganze Hintergrund auf (Gelände,
Häuser, Tiere und Menschen der Ferne usw.). . . .
Diese Methode der malerischen Darstellung pflanzt
sich fort bis auf die höchsten Bergkämme, wo
sich die felsigen Teile und die Schneemassen
klar gegeneinander gliedern, und darüber hinaus,
wo ein dumpfklarer Himmel über der weiss
leuchtenden Schneelinie heiss vibriert. . . ."
Im weiteren Verlaufe der Darstellung kommt
Servaes (S. 194—199) noch einmal ausführlich
auf das technische Verfahren Segantinis zu spre-
chen. Es sind meist Angaben, die von Segantini
nahestehenden Personen herrühren mögen und
deshalb authentischen Wert haben. Aber auch
in diesem Abschnitt sind einige Stellen wohl
missverstanden, und deshalb ist in Klammern ver-
sucht, sie zu verbessern.
Segantinis Malweise wird dann also be-
schrieben (S. I94"I99)-
„Auch im Technischen machte er noch weitere
Fortschritte. Er kam dazu, jegliche Farben-
mischung aus seinen Mal werken zu ver-
bannen (?). Im Prinzip hatte er dies ja längst
festgestellt. Aber erst jetzt vermochte er dazu
durchzudringen, es in der Praxis aufmerksam zu
befolgen. Und so steigerte sich denn immer
 
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