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Münchner kunsttechnische Blätter — 8.1911/​1912

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Nr. 1
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Berger, Ernst: Zur Frage der römisch-pompejanischen Wandmalerei, [3]: Bemerkungen zu Keims "neuen" Rekonstruktionsversuchen, 2
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https://doi.org/10.11588/diglit.36590#0007

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Nr. i.

Münchner kunsttechnische Blätter.

3

Zur Frage der römisch-pompejanischen
Wandmalerei.
Bemerkungen zu Keims „neuen" Rekonstruk-
tionsversuchen. II.
Von E. B.
Wenn ich an dieser Stehe auf die Keinschen neuen
Versuche zur Rekonstruktion der römisch-pompe-
janischen Wandmaiereitechnik, die er am t2. und 13.
Juni a. c. in der Städtischen Gewerbeschuie (Matschute)
in München „unter Kontrohe" vor einem Kreise von
Eingetadenen ausführte, nochmats zurückkomme, so
geschieht dies aus dem Grunde, um den Lesern dieser
Btätter von dem Ausfatt dieser Versuche und auch
darüber zu unterrichten, inwieweit diese Rekonstruk-
tion dem entspricht, was von ihr vertangt werden musste.
Nach einem mir zugegangenen ausführtichen Be-
richt hatte Herr K. auf einer Mauerfläche eine Reihe
von Sand- und Marmormörtetbewürfen aufgetragen, und
dicht beschtagen, wie Vitruv es beschreibt. Auf der
tetzten, feinsten Marmormörtetschicht wurde mit dem
Pinset ein Grund (roter und schwarzer Farbe) her-
gesteht, den er dann mit Gtätteisen und Gtaskette
gtättete. Mein Berichterstatter fand, dass hierbei
keine gtänzende Oberfläche zustande kam, während
eine andere auf einem Ziegetstein befindliche „unter
Wasser" künstiich feucht gehaltene Probe Gtanz zeigte.
Auf dem gegtätteten Grund wurden endtich etliche orna-
mentateund hgürticheMatereien von Matern der Gewerbe-
schute „in Fresko" resp. mit Katkfarben ausgeführt.
Obwoht die obige Arbeitsweise nicht mit der
Wiegmann-Donnerschen in vöttiger Uebereinstimmung
steht (da die Gtättung nach dem Farbenauftrag
geschah, und sich der Gtanz auch nicht von setbst
emstellte), war ich doch verwundert, dass trotz der
Gtättungsarbeit die OberHäche matt gebtieben sein
sottte. Durch Erfahrung bei meinen zahtreichen Proben
war mir der durch einfache mechanische Gtättung
(ohne Gtättungsmittet) erzietbare EBekt tängst bekannt,
aber der Grad des Gtanzes hatte mich niemats
völlig befriedigt und ich trachtete diesen
stets im Sinne der Forderung Vitruvs bis zur
„Spiegelung" zu steigern. Es war mir deshaib
von Wichtigkeit die K.'schen Versuche setbst zu sehen,
wozu der Besuch einer von der Leitung der Gewerbe-
schute veranstatteten AussteHung von Aufnahmen histo-
risch wichtiger Wandmatereien verschiedener Zeiten,
etwa acht Tage nach Herstellung der K.'schen Proben
Gelegenheit gab. Und ich kann nach deren Besichti-
gung sagen:
Diese „neuen" Versuche sind genau so, wie ich
es erwartet hatte, ausgefatten! Die auf der Wandftäche
beündtiche Probe, zinnoberroter und schwarzer Grund
(die unter Wasser feuchtgehaltene war nicht mehr zu
sehen), zeigte beim ersten Anbtick woht keinen Glanz,
aber in sehr spitzem Winket gegen das Licht gesehen
und bei näherer Betrachtung war der Gtanz zu be-
merken, nur war der Grad dieses Gtanzes so
gering — der obenerwähnte Berichterstatter hatte
ihn ja überhaupt nicht bemerkt! —, dass von einer
Spiegetung in Vitruvs Sinne auch nicht im
entferntesten die Rede sein könnte!
Bei seiner „neuen Rekonstruktion" der antiken
Wandtechnik geht K., wie wir gesehen haben (M. kunst.
Bt. Nr. 20 u. 21 dieses Jhrgs.), auch im Gegensatz zu
Wiegmann-Donner, von der Zweiteitung der Arbeit
aus, und scheidet die Bereitung der gegtätteten Grund-
farbe von der Bematung dieses Grundes mit Ornamenten,
Figuren u. a.
Es fragt sich nun auch, wie dieser Teit der Rekon-
struktion, die Hauptsache, nämtich die Be-
matung, ausgefatten ist?
Um es gteich zu sagen: Nur jemand, der nie
in Pompeji gewesen, niemals das Neapter Mu-

seum besucht oder die römischen Wand-
matereien im Thermen-Museum, aufdemPatatin
oder bei Prima Porta u. a. gesehen hat, wird
die hier zur Schau gebrachte Rekonstruktion für ge-
lungen erktären. Nichts erinnert an die teichte
schwungvotte Manier, an die geschmeidige Farbe, den
attes gestattenden, freien Pinsetstrich der römisch-
pompejanischen Matweise! Denn auf dem farbigen,
roten und schwarzen Grund musste der Mater erst
eine Katkuntertage auftragen, um mit Katkfarben
weitermaten zu können, und er erziette dadurch die
unangenehm-kreidige Wirkung einer gewöhntichen
Katkmaterei, aber nicht im entferntesten den Schmetz
und die Tiefe der Originatmatereien.
Zur Not tässt sich dieses Anbringen einer Kalk-
unterschicht aus der Absicht erktären, den farbigen
Untergrund kotoristisch zu neutratisieren oder eine
neue Freskoanlage zu schaffen (?), aber wie steht sich
K. die Arbeit auf weissem Grunde vor, wie er
etwa beim Architektursti! ahgemein im Gebrauch war,
wo die gesamte Wandftäche mit Materei be-
deckt ist und nicht wie beim ornamentaten Stit nur
die Ornamentik auf gegtättetem einfarbigem Grund
aufgetragen ist?*)
Wie werden denn die auf weissem Stuckgrund
befindlichen Bitder, die oft tebensg rossen
Gruppen und Einzelfiguren, in architekto-
nischer Umrahmung gematt? Man denke an das
Haus der Livia, an Casa de Vettii, an die Bitder im
Neapeter Museum usw.! In dieser Katkfarben-
materei ist att das undenkbar! Und dass jemand,
der jene entzückenden Matereien gesehen und für
das Technische das richtige Gefühl hat, in der
K.'schen Rekonstruktion, die antike Manier wieder-
erkennen wird, hatte ich für ausgeschtossen! Nur
Unkenntnis der Originale und Selbsttäuschung
könnten einen derartigen Irrtum verständtich machen.**)
So sind die Keim'schen Proben, durch die er
das von ihm verpfändete Wort einzulösen versprach,
in keiner Weise befriedigend ausgefatten. Ich frage
demnach:
!. Hat K. mit diesenProben die angebotenen
Beweise für die Richtigkeit der Wieg-
mann-Donnerschen Freskotheorie er-
bracht? Ja oder Nein?

*) Nach dem Urteil des besten Kenners antiker
Wandmaterei, Aug. Ma (vgt. Geschichte der de-
korativ. Wandmaterei in Pompeji. Bertin 1882; nebst
Attas) werden vier der Zeit nach einander fol-
gende Stilarten in der antiken Dekorationsweise
unterschieden:
:. der Inkrustationsstit,
2. der Architektursti],
3. der ornamentate Stit und
4. der phantastische Stit.
Dass hierbei auch technische Unterschiede zu
erkennen sind, habe ich in meiner „Mattechnik d.
Altert.", S. 151 u. ff., des genaueren ausgeführt.
**) Es kann nicht oft genug darauf hingewiesen
werden, wie unerlässlich das Studium der Original-
malereien in Pompeji, Rom u. a. für die Frage der
Rekonstruktion ist. Und fatts es der „Deutschen Ge-
sellschaft zur Förderung rationeller Malverfahren", die
zur Vorführung obiger Proben Antass gab, ernstlich
um die Lösung der viel erörterten Frage zu tun ist,
sollte sie m. E. zu atlererst dafür Sorge tragen, dass
ihre Gewährsmänner sich an Ort und Stelle
über die Eigenart der römisch-pompejanischen Mal-
technik unterrichten. Denn daran krankt die
ganze Frage: Dass Leute sie erörtern wotlen,
die niemats an Ort und Stetle waren, und Dinge ent-
scheiden wotten, ohne sie überhaupt aus eigner
Anschauung zu kennen.
 
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