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Münchner kunsttechnische Blätter — 8.1911/​1912

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Nr. 20
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Giov. Segantini und der Divisionismus, [2]
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Berger, Ernst: Zur Einführung der Teerfarben
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https://doi.org/10.11588/diglit.36590#0082

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Münchner kunsttechnische Biätter.

Nr. 20.

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mehr noch die Ausdrucksfähigkeit seiner Kunst.
Gleichwie die Luft im Engadin noch klarer und
reiner ist als im Savognin, so wird es auch noch
klarer und reiner auf Segantinis Bildern. Aber
das verdankte er ausschliesslich der strengen
Befolgung des Prinzips der prismatischen
Zerlegung der Farben.
Eine ungemeine Arbeitsleistung hat es er-
fordert, dieses Prinzip zur Tat werden zu lassen.
Segantinis technisches Vorgehen war folgendes:
Zunächst Hess er die Leinwand mit Terpentin
und Terra rossa grundieren, so dass er einen
dunkelrostroten Flächenton bekam. Auf diese
Weise hatte er für seine Hellmalerei einen satten
und tiefen Unterton gewonnen, von dem sich
das, was er wollte, bestimmt und kräftig abheben
musste. Auch verhütete er damit, durch die vielen
lichten Töne, deren er bedurfte, gleichsam ins
Wesenlose zu verfallen (?). Lag doch das ener-
gische Rot wie eine erdige Substanz stets dar-
unter und machte sich als Untergrund geltend.
Auf die so präparierte Leinwand zeichnete
Segantini dieKompositionen seinerBilder
in grossen weissen Strichen und einfachen
farbigen Flächen auswendig auf. Es war
das gleichsam nur eine Raumdisposition, bei der
er sein rythmisches Gefühl massgebend sein Hess.
Und dann erst, wenn das Ganze in seinen Grund-
zügen fest dastand, ging er vor die Natur.
Die Orte, an denen er malen wollte, hatte er
vorher genau bestimmt. Und zwar brauchte er
für ein Gemälde oft drei, vier verschiedene Stand-
orte, je nach den Einzelerscheinungen, die er
darauf anzubringen gedachte. Hier malte er
etwa eine Wiese, drüben ein Haus, dort die
Berge. Das Vieh malte er meist entweder im
Stalle oder in einem kleinen Gehöft, wo es an-
geschirrt stand. Hatte er nun alle Einzelheiten
an den verschiedenen Standorten gleich auf das
Bild gemalt, mit genauestem, hingehendsten Stu-
dium der Realität, so benutzte er zum Schlüsse
einen dieser Standorte, um das ganze im Licht
zu harmonisieren. Er Hess sich beispielsweise
die gemalten Tiere dorthin führen, um, nachdem
die körperliche Modellierung und das Bewegungs-
motiv vollendet waren, nun noch einmal die Ge-
samterscheinung unter dem Einflüsse einer be-
stimmten Beleuchtung und Umgebung zu kon-
trollieren und zu übergehen.
Beim Farbenauftrag aber verfuhr er folgen-
dermassen:
Mit nur ganz wenigen langen und dünnen
Pinseln, die er noch besonders spitzte, setzte
er kurze fette Striche auf das Bild in den-
jenigen Farben, die er als Haupttöne zu
verwenden gedachte. Zwischen den ein-
zelnen Strichen Hess er etwa ebensogrosse
Zwischenräume stehen, durch die demnach
anfangs der braunrote Untergrund durchsah, die

aber später, wenn es an die Modellierung ging,
mit komplementären Farben ausgefüllt
wurden. Jede Farbe musste demnach mit un-
gebrochener Leuchtkraft rein für sich wirken
und nur durch die Zueinanderordnung der Farben
ergab sich die feinere Modellierung. In dieser
Zueinanderordnung war Segantini unendlich kühn,
und wo er Licht und Schatten voneinander ab-
heben wollte, setzte er unbedenklich Orange
neben Kobaltblau (d. h. doch des Kontrastes
wegen!). Auf diese Weise sicherte er seinen
Gemälden eine eminente Leuchtkraft, deren illu-
sionserzeugende Wirkung freilich von der hoch-
entwickelten Urteilskraft und Empfindlichkeit des
Auges abhing.
War Segantini soweit gelangt, dass nun alle
Farben richtig nebeneinander standen, so galt
ihm dennoch nicht das Bild als fertig. Es hatte
noch einen gewissen Zustand der Roheit, den es
zu harmonisieren galt. (Schluss folgt.)
Zur Einführung der Teeriarben.
Von E. B.
Die Frage der Einführung der neuen Teerfarben
in unsere Farbenskala ist eine der wichtigsten, die
wir zu entscheiden haben und die uns zur Stellung-
nahme zwingt.
Es ist nur natürlich, und wir wissen dies aus
früheren Anlässen zur Genüge, dass der Fabrikant
und Erfinder zunächst auf möglichste Verbreitung und
Verwertung seiner Produkte denkt, deren Vorzüge ins
beste Licht zu stellen sucht, und alle Mittel der mo-
dernen Reklame anwendet, um seine Zwecke zu er-
reichen. Der Konsument, in diesem Falle der Künstler,
ist von Hause aus zurückhaltend, er scheut alles Neue,
was er noch nicht kennt. Und in gewisser Hinsicht
mit Recht. Denn der Gebrannte fürchtet das Feuer.
Als vor wenigen Jahrzehnten die Anilinfarben auf kamen,
da glaubten viele, für die Malkünstler werde eine neue
Aera beginnen mit Farben von zauberhaftem Feuer
und ungeahnten Effekten. Die Fabrikanten beeilten
sich auch, solche Farben auf den Markt zu bringen.
Aber die Ernüchterung folgte nur zu bald! Es fehlte
an der Haltbarkeit, an der allerersten Bedingung, die
der Künstler an sein Material stellen müsste. Die
Anilinfarben waren trotz ihrer herrlichen Töne für
uns nicht brauchbar, und wo sie von Farbenhändlern
zur Verbesserung weniger „schöner" Farben gebraucht
wurden, galt eine solche vermeintliche Verbesserung
sogar als Fälschung.
Neuestens haben aber unsere modernen Zauber-
künst!er aus dem Steinkohlenteer nicht nur farben-
prächtige, sondern auch im Licht beständige Farbstoffe
zu extrahieren gelernt, und der Vergleich mit den be-
kannten natürlichen, aus Pflanzen bereiteten Farben
ist sogar sehr zugunsten der neuen Teerfarben aus-
gefallen. Seitdem hat sich das Blatt gewendet. Das
Interesse der beteiligten Kreise ist wachgerufen und
es wird durch die Kunde von immer neuen Erfolgen
unserer Farbenchemiker wach erhalten.
Seit unsere Farbenchemiker gelernt haben, „mit
den Atomkügelchen zu jonglieren", wie sich einer
ihrer besten Vertreter kürzlich ausdrückte, geht die
chemische Industrie neuen Zielen entgegen. Die
grössten Erfolge hat aber bisher die Farbenindustrie
zu verzeichnen, der es, wie es scheint, gelungen ist,
Methoden zu finden, die es möglich machen, aus den
 
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