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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 14.1923

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Erstes Heft
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Heynicke, Kurt: Bergbeichte
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https://doi.org/10.11588/diglit.47213#0025

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Bergbeichte
Kurt Heynicke
Ein Abend wie geronnenes Blut. Hinter
den Dächern wartet die Mitternacht. Die
Dome klingen in der Stadt.
Ich warte seit einer Stunde, dass Maria
kommen soll. Aber ich fühle: Wenn ich
sie auf den Stiegen hören werde, werde ich
zittern und kalt sein. Ich weiss nicht,
warum das sein wird. Denn ich glaube,
dass Maria mich liebt. Aber immer weht
ein Schleier zwischen uns. Ich kenne nichts,
was Glück zu heissen verdiente von jenem,
das vom Weibe kommt. Die Sehnsucht
nach der Geliebten? Die Umarmung mit
ihr? Manchmal ertappe ich meine Gedanken
auf irgend einem fremden Pfade, wenn sich
ihre Lippen an meine heben. Und oft
glaube ich, es ist einerlei, die Geliebte oder
irgend eine Dirne an der Seite zu haben.
Und ewig ist der letzte Becher allen Weib-
genusses bitter bis zur Neige.
Mit der Nacht, die langsam und träge zu
Bett steigt, kommt Maria. Sie ist wie immer
schön und meine Augen feiern Feste, sie
zu sehen. Ich glaube die Kälte, vor der
ich mich fürchte, nicht zu fühlen und spüre
unnennbares Wohlbehagen, da ich sie küssen
darf. Maria ist gut und ich habe sicher
noch nie ein Weib so geliebt. Nur dass
sie zu den Mönchen geht, um in schwülen
Nachmittagen unsere Liebe zu zerbeichten,
ist mir fern an ihr. Ich könnte den Menschen
töten, welcher lächelnden Blicks an ihrem
Munde hängt — vorhangverdeckt — wenn
sie weint.
Als ich ihr das sage, meint sie stillen Auges,
ich sei eifersüchtig, nimmt meine Unrast in
die Hände und streichelt sie zur Ruhe.
Aber mir ist wieder dies unnennbar Ferne
in der Seele. Dann bin ich gross und
weitab von allem Menschlichen. Und plötz-
lich weiss ich, dass ich Maria morgen be-
lauschen werde, wenn sie zur Beichte geht.
Ich glaube nicht, dass ich einen schmäh-
lichen Gang tun will. Recht und Unrecht
sind mjr 0inge ausserhalb des Kreises
feiner Empfindungen.
c taste mich hart in die Kissen. Maria
U^rl^611 braunen Kopf an mein Herz.
? as beginnt zu schlagen. Schnell, immer
SC|?e er’ Und dennoch, in dem Meere
go ener Wolken, da ich bin, immer noch

das eine, welches ich schon als halber Jüng-
ling empfand: Wenn sie mir nahe waren
und nach mir schrieen, waren sie mir am
fernsten.
Nach Mitternacht geht Maria. Sie hat tiefe
Augen bekommen. Wir küssen uns zum
Abschied. Mir steigen Tränen, ohne dass
ich weiss und fühle, warum.
Als sie davon ist, drücken mich die Mauern.
Das weite Zimmer ist eng. Ich kleide mich
an und taste mich hinab auf den steinernen
Stiegen zur Strasse. Vorbei dort unten an
Dirnen, die ihren suchenden Leib zerfrieren
und an weintollen Männern.
Ich finde mich in den Park, an schluchzen-
den Brunnen und weissen Standbildern im
Monde. Ich setze mich auf eine Bank und
gleite in einen halben Schlaf. Und träume
zerrissen, umwirrt von den Lauten der Nacht
und der nahen Stadt. Dome und hohe
Säulen. Priester im roten Ornat. Mönche
und bunte Fenster mit heiligen Bildern.
Dazwischen ein brauner Frauenkopf. Maria!
Ich erwache, habe klares Erinnern in mir
und gehe.
In einem Laden der erwachenden Stadt
kaufe ich Blumen. Der Diener muss sie
in das Zimmer stellen. Maria wird sich in
dem Duft baden am Abend.
Den ganzen Morgen verbringe ich in Unruhe.
Ich kann nicht essen und nicht schlafen,
obwohl mein Körper müde ist zum Sterben.
Die Uhren der Kirchen schwingen Nach-
mittag. Um diese Stunde pflegt Maria zur
Beichte zu gehen. Dann gehe ich und fühle,
dass ich kalt bin, wie der letzte Stein im
Schatten meines Hauses.
In den Dom gehe ich nicht. Ich will mich
in irgend eine Nische stellen auf der Strasse.
Mir ist es, als ob das Kommende schon ge-
wesen ist: Sie wird nicht allein kommen!
Meine Kniee zittern und meine Lunge tobt.
„Maria“ schreien meine Augen.
Denn Maria kommt nicht allein aus dem
Torbogen. Die braune Kutte neben ihr hat
ein Gesicht, zu hassen aus tiefster Seele.
Ich drücke mich tief in die Nische. Der
Mönch ist jung, aber mit Zügen im Antlitz,
die erstarren machen. Wenn er zu Maria
spricht, sind sie weich, voll Ergebenheit
und Belehrung, in anderen, sich unbeobachtet
glaubenden Augenblicken sind sie voll
Lüsternheit und Habgier.
Ich folge den beiden. Die Sonne geht heiss

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