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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 14.1923

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Neuntes Heft
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Déry, Tiborné: Blaue Glasfiguren
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Liebmann, Kurt: Vier Gedichte Schrill
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https://doi.org/10.11588/diglit.47213#0161

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Sie befanden sich in einem finsteren Hof-
zimmer im fünften Stock, aus der Küche
klang Tellergeklapper, das Gas brannte
knisternd und von den Möbeln stieg Kraut-
geruch und eine verhungerte Motte auf.
— Kannst dir deine Blusen selbst aus-
waschen! — hörte man im Nebenzimmer
eine Stimme, eine Tür krachte und im
Treppenhaus setzte sich der Aufzug krei-
schend in Bewegung. Die Glasfigur kniete
vor dem Divan, schlug ihre glanzlose Stirne
auf den Boden.
— Ich lasse Sie hinauswerfen — sagte die
Jungfrau — geben Sie mir Geld, ich will
abends eine Serenade vor dem Fenster des
Schauspielers singen.
Der Schauspieler trat durch die Tür ins
Zimmer, setzte sich auf einen Sessel.
Draussen regnete es, der Graf kroch durch
das Fenster, seine Kleider waren durch-
nässt. Der Ringkämpfer räusperte sich,
küsste der Jungfrau die Hand. — Hm hm —
sagte der Baron. Der Gatte lief durchs
Zimmer, sie nahmen ihn beim Bart, zausten
ihn. Der Direktor küsste die Jungfrau auf
das Knie, flog empor und schwebte unter
der Decke wie ein Luftballon. — Hah-hah
— sagte der Briefträger, schüttelte unsicht-
bare rosafarbige Briefe auf den Tisch, spuckte
aus und ging weg. Im Nebenzimmer jam-
merte der Chor fehlgeborener Kinder, ein
Diener verteilte Zetteln unter der Menge.
Die Glasfigur hob die Faust, doch die Jung-
frau war schon verschwunden, nur ihre Ferse
sah man einen Augenblick, als sie in der
Flugmaschine vor dem Fenster vorüberflog.
Fortsetzung folgt


Vier Gedichte Schrill
Kurt Liebmann
Landschaft
Damm pulst die Ader Blut
und
Ader tobt den Kreis
ritzt Wiesen
überblaut
schnellt auf
rot
knallt ein Lichtschirm
schräges flirres Kreisen
und

überrauschend
krallt der Baum den wilden Sonnenbart
ist Tanz der Feuervögel
schillernd
schrill
durch klages Schilf
strich
über Wellennetze
schreit
der See
wirft wild
das Herz
in flattre Schleier Ufer
Wachs
und
bleich
und leis
Madonna.
Trauriger Stern Abend
Klagwehend
sägt
der Blutfall
wogend
aufgewühlter Wunde
Tagschreigelb
schrill
und
Finger Mond
weist rot
das Kreuz
gehoben
steigend
tropf
im Gold der Stimme
Ufer schleppend
schwirrt der Speer
Durchsilbern
Zittern
klagt das Bluten
Wunden
Krümmen
schrei
das Auge
schief
des Mannes
grün
fliegt ätz und böse
schwirr
die Blume Frau
entschwebend
schon verwebt
den Schleiern
 
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