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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 14.1923

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Neuntes Heft
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Malespine, Emile: Carte Postale
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Wauer, William: Ueber die Möglichkeit einer neuen Religion, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.47213#0166

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Carte Postale
Ce soir petite amie lointaine
dans mon coeur des cröpuscules s’ amon-
tonnent
cendres grises que la brise eparpille en
soupirs
Dans la braise
il y a des bonshommes
quand on la tisonne
mes Souvenirs ronronnent
Votre image fait le gros dos
je la caresse Vos tresses sur votie joue
jouent sous mes doigts des courants d’ air
de carreau brise en plein hiver
et je voudrais vous avoir lä sur mon epaule
Riselets roses sur vos levres
dos de mouton papoteraient votre Emotion
par petits groupes
comme au sortir d’une reunion electorale
A iittle kiss my little thing:
Cöt6 reserve ä 1’ adresse.

Emile Malespine


Ueber die Möglichkeit einer
neuen Religion
William Wauer
II
Es kann niemals die Aufgabe einer Religion
sein, die Menschen zu verwirren, in Zwie-
spälte zu stürzen und gegen einander
aufzureizen. Und doch haben alle Religionen
gerade in diesen Formen ihre Hauptaus-
lösung gefunden, ja gesucht.
Um keine Streitfragen unter den Menschen
ist so arger Greul begangen und so viel
Blut vergossen worden, als um religiöser
Meinungsverschiedenheiten willen.
So sehr diese Tatsache für die Tiefen-
verwurzelung und Wesensverwachsenheit
des Religiösen im Menschlichen spricht, so
betrüblich ist die Logik der Schlussfolgerung,
dass die Menschen von wirklicher Religio-
sität immer erschreckend weit entfernt
waren und noch sind, und wahre Religio-
sität von der Menschheit erst noch errungen
werden muss.
Denn auch heute noch kann man sich der
Einsicht nicht verschliessen, dass gerade

tiefer veranlagte Menschen ideebefangen
wahnwitzig genug sind, sich wegen unter-
schiedlicher Gedankeninhalte aufs Tiefste
zu verwunden, ja zu morden.
„Götterscheu“, sollte man meinen, müsste
dazu führen, alle, auch der Anderen,
Götter zu scheuen; aber schon die
Möglichkeit „anderer“ Götter gilt als frevel-
hafter und gefährlicher Angriff auf den
eigenen: so unsicher und leicht gefährdet
fühlt man den selbstgeglaubten. So führt
eine unheimliche Logik aus Eigenglauben
zu fanatischem Kampfe gegen jeden anderen
Glauben.
Jeder Glaube muss aus seiner Unsicherheit
heraus um Geltung ringen und so
schliesslich zum politischen Machtkampf
ausarten. Die Menschenbeherrschung wird
Glaubeszweck. Das „Nur-glauben-können“
hat immer Unheil ausgewirkt, weil es nur
Unheil auswirken kann, aus seinem Wesen
heraus: sonst wäre die menschliche Geschich-
te innerhalb des übrigen Naturgeschehens
garnicht denkbar und möglich.
Unsicherheit macht brutal.
Es ist uralte Priesterweisheit und Priester-
predigt: Götter verlangen Menschenopfer.
Die schreckensvolle Wahrheit scheint für
alle Zeiten in allen Formen bewiesen; es
sind aber nicht die Götter, die Opfer
heischen, sondern der „Glaube“.
Wo ein Glaube, ein Dogma, eine Lehre
unter den Menschen sich geltend macht,
fallen Opfer, und je grösser, grausamer
und zahlreicher die Opfer sind, desto sicherer
wird der Verblendung die „Wahrheit
ihrer Ueberzeugung.
Alle Logik scheint da auf den Kopf gestellt;
denn sie müsste umgekehrt schliessen.
Alles Denken scheint zu versagen; denn
schon das leiseste müsste die Möglichkeit
zeigen, dass gerade Glaube irren kann
und Meinungen nur bedingte Geltung bean-
spruchen dürfen. Alles Verständnis und
Mitgefühl, alle Achtung vor dem Mitmenschen
ist plötzlich verschwunden; wie Bestien in
unwiderstehlichem Heisshunger zerfleischen
die „Gläubigen“ die „Ungläubigen“ ihrer
eigenen Art.
Man sollte annehmen, das Sündenregister
jeder Art von Gläubigkeit sei so voll, dass
die Menschen wieder zu sich und ihrem
Verstände zurückkommen müssten; wenig-
stens sollten die bessergearteten und nach-

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