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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 14.1923

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Elftes Heft
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Walden, Herwarth: Weit und weiter - weiter
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Heynicke, Kurt: Tai-a-oh
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https://doi.org/10.11588/diglit.47213#0192

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ihn oder kulturell gesagt: ergibt ihm Kredit.
Der Mensch ist gut, dem Glaube Leistung
ist. Nicht aber Leistung Glaube. Leistung
ist die sinngemässe oder sinnliche Gestal-
tung des Nichtgestalteten. Die Güte der
Leistung ist ihre Gestaltung und nicht ihre
Verwertung. Die Verwertung der Leistung
ist nur Zweck für die Menschen, die bis
drei zählen können.
Feindschaft ist verhinderte Besitzgier.
*
Eigentum ist eine seelische Forderung. Wenn
der Mensch aber an die Seele dieser For-
derung nicht glaubt, findet man ihn eigen-
tümlich. Die Forderung ist die Eigentüm-
lichkeit der Seele. Und im übrigen eine
Rechnung. Und zwar eine überschriebene
Rechnung.
*
Wir zählen nicht unsere Jahre. Wir zählen
nichts auf. Auch keine Leistungen. Denn
sie geschehen um der Leistung willen. Uns
suchen nicht Gestalten. Wir gestalten das
Suchen. Wir gestalten das Treiben im
Getrieb der Triebe. Treibend Getriebene.
Getrieben Treibende. Künstler. Schaffende
Geschaffene. Geschaffene Schaffende.
Die Leistung um der Leistung willen.
Herwarth. Walden

Tai-^a^oh
T a i a o h: es ist schwer zu deuten. Viel-
leicht ist es das Meer. Wenn seine Bran-
dung verbissen ringt mit Klippe und Felsen,
singen Wasser und Stein aus gemeinsamer
Kehle den Urgesang der Elemente, der aus
Feindschaft geboren ist: Tai-a-oh.
Oder es ist der Himmel, der über dem
Meer und den - Inseln gewaltiger liegt als
über dem grossen Land. Seiner Tage Blau
beginnt zu tönen und begnadete Wesen
hören jene Musik der Sphären, mit der die
Götter sich loben darum, dass sie sind.
Tai-a-oh, es sind die südlichen durchsich-
tigen Nächte, aber nur Menschen mit walt-
samer Sehnsucht sinken ganz bis auf ihren
Grund, steigen völlig empor in den Glanz,
der sie erhöht über alle Erlebnisse.
Vielleicht war es der Urlaut, welcher un-
erlöst rang in dem, den ich nennen muss
wie ihn und alles, das ihn umgab:
Tai-a-oh.

Alles ist Tai-a-oh: Die Insel, die Tiere, die
Bäume, das Meer.
Leicht könnte man diese Landoase in der
Wasserwüste abschreiten von Sonnenaufgang
bis Sonnenmittag, doch es ist niemand da,
der solches mit Vernunft vollbrächte, denn
Tai-a-oh, das Wesen, ist ohne Vernunft.
Es sind Jahre her, da zerspellte im Wirbel
des Taifun an den verborgenen Klippen
das Schiff. Es fiel auseinander wie gespal-
tenes Holz und die tosende Nacht frass alle
Menschen bis auf einen, und der war ein
Kind.
Gezeugt mit einem Weibe, das sich der
Kapitän in einer südlichen Hafenstadt ge-
griffen hatte und die zur seltsamen Natur
des Rauhlings so passte, dass er sie aufs
Schiff nahm, wo sie einen Koch und manch-
mal einen Seemann ersetzte, war dies Kind
unbeachtet und verwahrlost zu den ersten
wenigen Lebensjahren herangewachsen. Es
fühlte kaum die ersten Regungen der
Sprache, aber sein Körper war der Ent-
wickelung seines Kopfes weit voraus.
Da geschah das Ereignis. Den Schiffbruch
überlebte dieses Kind allein von allen, die
untergingen, in einer Kiste, geklemmt
zwischen ungelösten Balken, trugen es die
Wellen an den Strand der Insel.
Sei es, dass seine noch weiche Stirn ge-
schlagen wurde an hartes Holz, sei es, dass
erste Bewusstheit des Lebens aufkeimte,
um schon den Schrecken des Todes im
Halbschlaf der Seele empfinden zu müssen
und damit niedergeschlagen zu werden, das
Wunder ward Grausamkeit zugleich:
Die lallenden Laute der Sprache wurden
zerstört, über die kurze Vergangenheit sei-
nes Lebens rollten dichte Schatten, die
Gefilde des Wahnsinns taten sich auf.
Aber der schiffbrüchige Knabe starb nicht,
doppelt stark standen die Instinkte des
Leibes bereit, sich das Leben der Muskeln
und des Frasses zu erhalten, ein tierischer
Erhaltungstrieb kam hervor, das Kind be-
gann sich auf der Insel zu bewegen.
Das ist Tai-a-oh. Und jetzt ist er erwach-
sen und stark wie ein Urwaldvieh. Seine
Haut ist tiefbraun, aber er spiegelt sich nie
im Wasser, er weiss nichts von sich, er
kann nicht denken.
Ein Fell harter Haare liegt verschlungen
über seinem Leibe, Brust, Rücken und
Schenkel schützend durch dichten Wuchs.

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