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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 14.1923

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Sechstes Heft
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Schwitters, Kurt: Au der Welt: "MERZ", [3]
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Stramm, August: Der Letzte
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https://doi.org/10.11588/diglit.47213#0116

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in ihrer Tätigkeit Wider-
spruch des Publikums als
Kunstfaktor nach ihrem Be-
lieben in Rechnung setzen
oder absichtlich unbeachtet
lassen. Die letzte Ent-
scheidung über den Wert
des Gesamtkunstwerkes
liegt trotzdem wiederum
(mit einer leichten Ver-
beugung:)
beim Publikum.
Das Publikum: Bravo! — Bravo! — Bravo!
— (eine Damenstimme,
schwärmerisch:) Er ist ge-
nial!! — (die Fistelstimme:)
Hoch ANNA BLUME!!
(alle empört gegen die
Fistelstimme gewendet.)
Idiot!! — (alle ab.)

Der Letzte
August Stramm
He! da oben! Lachen! ich lache! drei Tage
stürzen! brüllen! drei Tage Jahre Ewigkeiten!
und bist noch nicht zerstürzt! verfluchter Him-
mel! Blaubalg! pafft Zigarren und stiebt Asche,
alles zusammen, den Graben. Schützengraben.
Schutz. Grab. dieStellung wird gehalten biszuin
letzten Mann! vorwärts Jungens. Das Blau-
gespenst klimmt rote Augen auf. rot. feuerrot,
verschlafen. Der Tag hält nicht aus. so oder so!
schiesst! schiesst! der Wald! ja. in den Wald!
Schädel. Wolken, lustig! der beste Schütze
darf. ja. darf zuerst schlafen. Teufel! schlafen!
Mord Müdigkeit Rasen Wut! He! Bursche?
Bursche da vorn! willst du? willst du schiessen ?
du? ja? der Kopf zwischen die Beine geklatscht?
Drückeberger! schiessen! knallen! seht! sie
kommen aus dem Wald, raus aus dem Lauf!
die Backe gesetzt! brav! brav! Schnellfeuer!

Blaue Bohnen! Bohnen! Blaue Augen! mein
Schatz hat blaue Augen, haha! drauf! drauf!
sie laufen. Korn nehmen. Zielscheiben, laufen.
Mädchenbeine, ich beisse, beisse, verflucht.
Küsse scharfe. drauf gehalten! Standvisier
Aug in Auge! Wasser? was? die Läufe glühn?
alle Schläuche glühn. letzte Nacht hat die
Feldflasche zerschlagen, das trockne Glas geleckt,
die Zunge blutet, schluckt, schluckt, schiesst
die Flinten kalt, euch selber kalt, kaltes Blut!
da vorne pfützt Wasser. Pfui Teufel! gierig!
Dreck! Blut, blutiger Dreck. Blut modert zu
schnell. Feuer! Schnellfeuer! raus! nicht ein-
schlafen! wer? nehmt ihm die Patronen aus
der Tasche, wir brauchen sie. der Kerl blutet!
ein kleines Loch kann so bluten! schiessen!
Zielpunkt. Donner! Knacken! das Flattern!
so müsst ihr auch schiessen, zielen, zielen,
gut. ruhig, die Hunde drüben, die arme Erde.
Brief in der Tasche? natürlich, schlapp und
gleich tot auf der Nase, „mein lieber Mann!“
ja. Männer brauchen wir. aber keine toten
hier, essen. Bröckel Schokolade. Mutter, schiesst
Kerle, ach Mütter weinen immer, schiesst!
ich war ein weicher Junge. Teufel! Kopf hoch!
die Nasen aus dem Dreck! Was?! keiner? alle?
Faulenzer! Verstärkung, hört ihr? Verstärkung
kommt. Feind nicht ranlassen! die Flinten
vor! Teufel! totsein ist Schande! seht! ich
schiesse, schiesse. Verstärkung, hört!Trommeln.
Hörner. Tata trrr! eilt da hinten! eilt! Mutter-
tränen. Vaterbrünste. Dreck! Drei Tage Dreck!
Menschen! meine Mutter hat mich immer so
sorgsam gewaschen. Grab. Hölle. Teufel,
mein Arm schiesst. Finger ladet. Auge trifft.
Hurrah! Hurrah! die Beine in die Hand! Hurrah!
Tod und Leben! hurrah! Eisen! hurrah! drauf!
Mein Kopf! Kopf! wo ist mein Kopf? voran, fliegt,
kollert, brav. Bursche! in den Feind! beissen
beissen! Säbel! ha! weich der Vaterbauch, weich.
Mutter, wo bist? Mutter, seh dich nicht?
Mutter du küsst. Mutter, rauh, halte mich,
ich falle doch. Mutter, ich falle. Mutter.
Diese Dichtung wurde aus dem Oktoberheft
Der Sturm 1916, das vergriffen ist, auf den Wunsch
Vieler hier neugedruckt.

Inhalt
Herwarth Walden: Gleichheit
Jngeborg LacourZTorrup: Gedichte
M. Seuphor: Arbeitslos
Lothar Schreyer: Anschauung und Gleichnis
Franz Richard Behrens: An meine Deutsch-
Amerikanischen Freunde
Kurt Schwitters: Aus der Welt: „Merz“

August Stramm: Der Letzte
Paul Fuhrmann: Linoleumschnitt / Vom
Stock gedruckt
Aurel Bernäth: Erde / Gemälde
T. Zarnower: Architektur — Plastik
M. Szczuka: Raumkonstruktion / Plastik
Juni 1923

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