Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 14.1923

DOI Heft:
Sechstes Heft
DOI Artikel:
Walden, Herwarth: Gleichheit
DOI Artikel:
Lacour-Torrup, Ingeborg: Gedichte
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.47213#0101

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
MONATSSCHRIFT / HERAUSGEBER: HERWARTH WALDEN


Gleichheit
Eines Morgens geht die Tür auf und der
Mensch steht auf der Schwelle des Bewusst-
seins. Vor ihm scheint der leere Raum,
in den er männlich schreitet. Sorgsam zieht
er die Tür hinter sich vor wallenden Wettern.
Er fühlt sich geborgen, fühlt sich. Stolz
seiner Einsamkeit quert er den Raum. Er
ist er. Er ist Ich. Er ist der Mensch, der
Denkende. Er lebt für sich. Er lebt sich.
Er denkt, was er will, denn er will, was
er denkt. Erdelos, menschenlos steht er
verschlossen. Abgeschlossen. Im leeren
Raum seines Denkens schliesst er das Leben
und schliesst auf das Leben äusser sich.
Und baut sich die Erde nach seinem Ermessen
und baut sich die Erde nach seinem
Vermessen. Und steht in der Mitte als Gott
leeren Raums. Die Erde zuckt in schlagenden
Wettern, der Raum verschiebt sich, verfällt,
zerfällt. Das Leben hebt die Tür aus den
Angeln. Die Schwelle, nun oben, zerschellt
den Gott. Und Menschen kommen zu suchen,
zu helfen und finden den Mensch, den
verschlagenen, zernichtet, die Leere geweitet.
Ein Arm greift zu halten. Ein Herz bebt
zu schlagen. Zwei Augen funken dem Licht
verblendet. Ohr sucht den Hall. Und Wahn
sinnt unter der Schwelle.
Das Leben lebt über Menschen zu Menschen.
Nun schlingt sich ein Arm heiss um eine
Hüfte. Ein Schrei bricht hervor aus Gestöhn
aller Glieder. Hände falten sich bebend
um Brüste. Münder graben sich tiefer und
tiefer. Nächte tagen und Tage nachten.
Zeit versinnt sich und Raum verliert sich.
Mensch sucht den Mensch. Namenlos verzückt
in Verzücken. Sinn ohne Sinnen. Sinn-
verloren.
Die Liebe liebt über Menschen zu Menschen.
Herwarth Walden

Gedichte
Ingeborg Lacour zTorrup
Unsre Hände krampfen umeinander
Unsre Lippen brennen ineinander
Unsre Leiber suchen sehnen suchen
Krampfen
brennen
sehnen
suchen
sehnen
Stummen sterben
und Verstummen
Oh das Weinen ohne Tränen
Leiser immer leiser
Leise
*
Meine Augen suchen Deine Augen
Liegen Deine Augen nun in mir
Liegen meine Augen nun in Dir
ruhen wir
ruht alles Leid
ruhen alle bösen Träume
¥
Alle Luft steht still
Lange Blätter hängen schlaff
Blasse Blüten schleppen erdlang
Ein riesengrosser weisser Mond löst sich
Und schwebt
Senkt sich
Und kreist
Und legt sich flach auf meine Erde
Deckt meine ganze Erde zu
Ein riesengrosser weisser Mond liegt auf
der Erde
Zum „Tanz der Wehfreude“
Tango von Herwarth Walden
Und alle Freude weint durch alle wehen
Nächte
Und alle Wehen singen durch die frohen
Tage

81
 
Annotationen