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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 14.1923

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Zehntes Heft
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Schreyer, Lothar: Erziehung der künstlerischen Kräfte
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Walden, Herwarth: Der Fall Berliner Tageblatt
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https://doi.org/10.11588/diglit.47213#0176

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fremd ist. Nicht mit den Kunsthändlern
arbeiten, die Kompromisse in künstlerischen
Angelegenheiten aus Geschäftsrücksichten
machen. Nicht mit den Kunsthändlern
arbeiten, denen Künstler und Kunstwerke
Spekulationsobjekt sind. Kunstwerke ver-
schenken. Wenn wir Kunstwerke für das
tägliche Brot verkaufen müssen, dann so
verkaufen, dass die Kunstwerke nicht Luxus-
objekte für reiche Sammler sind. An den
Preisen werdet ihr heute erkennen, welche
Künstler in ihrem Leben schöpferisch sind
oder nicht. Nur wer auch im Leben Künst-
ler ist, wird wahrhaft leben.
III
Freunde! Wie lange noch wollen wir
zögern. Lange genug haben wir das Falsche
getan, obwohl wir das Richtige wissen.
Immer wieder haben wir die Stimme des
Gewissens gehört und haben dennoch ge-
zögert. Wenn wir noch länger zögern,
geht die Stunde der Entscheidung vorbei,
und wir haben uns nicht entschieden. Ent-
scheiden wir uns nicht zum Rechten, so
verlieren wir die Kraft der Kunst.
Die Kräfte des Gewissens sind untrennbar
von den Kräften des Gestaltens. Wer gegen
sein Gewissen handelt, lähmt seine künst-
lerische Kraft. Gut, dass wir es noch er-
kennen können. Dann haben wir noch die
Kraft, uns zu lösen aus der Enge. Die
Freiheit, das ist der unbeirrte Gehorsam
gegenüber der Wahrhaftigkeit des Gewissens,
ist die Meisterschaft, die wir erwerben
sollen. Wir aber sind der Lüge gefolgt,
dem Kompromiss. Niemals können wir
das Rechte erreichen, indem wir das Falsche
tun. Niemals kann sich das Rechte aus
dem Falschen entwickeln. Das Rechte ist
da, sobald wir das Falsche verlassen.
Jeder von uns weiss, wo er beginnen muss,
um sein Gewissen zu erfüllen. Ich will
beginnen und lege mein Lehramt am Staat-
lichen Bauhaus in Weimar nieder.
Freunde! Keine Entscheidung ist ohne
Opfer, keine Erkenntnis ohne Verzicht.
Aber nur die Entscheidung des Menschen
ist recht, bei der der Mensch nur gegen
seinen Irrtum kämpft und nicht gegen die
Unvernunft der anderen.
Der Kampf gegen sich selbst, die Reinigung
vom Lügenhaften ist eine Reinigung des
inneren Menschen. Wer diese Reinigung

erlebt, in dem leuchtet die Kraft des
Lebens als ein Licht.
Diese Reinigung ist Erziehung unseres inne-
ren Lebens.
Wir müssen unbeirrt das Falsche verlassen.
Wir müssen Geduld haben mit denen, die
das Falsche tun. Wenn wir selbst das
Rechte tun und unter dem Zwang eines
guten Gewissens unser Werk gestalten, dann
wirken wir als Mensch. Das ist gewiss.
Lothar Schreyer

Der Fall Berliner Tageblatt
Das Berliner Tageblatt gefällt sich in einem
Fall Stramm. Wer ist August Stramm,
fragen die erstaunten Leser des Berliner
Tageblattes. Nie sind sie bisher mit diesem
Namen behelligt worden. Der Herr, der
sonst im Berliner Tageblatt die Tänzerinnen
beschreibt, hat eine „Anklage“ gegen den
Sturm gedichtet. Mit richtigem Material.
Zeugen: Die Witwe. Der Sturm hat Ver-
brechen auf Verbrechen begangen. Er hat
die Witwe über auswärtige Aufführungen
der Werke August Stramms nicht unter-
richtet. Sie haben zwar nicht stattgefunden.
Aber sie hätten doch stattgefunden haben
können. Der Sturm hat in unverantwort-
licher Weise „grosszügig Werke des Dich-
ters an das valutastarke Ausland ver-
schenkt“. Nämlich der ungarischen Zeit-
schrift Ma die Erlaubnis zum Abdruck eines
Gedichtes gegeben. Was weder er noch
sonst jemand hätte verhindern können.
Der Sturm hat die Witwe nicht von der
Aufführung einer Oper nach einem Drama
von August Stramm unterrichtet. Er hat
diese Nachricht zwar selbst nicht bekom-
men und selbst im Berliner Tageblatt keine
Voranzeige davon gefunden. Diesem Blatt,
das nur für August Stramm lebt und stirbt.
Der Rechtsanwalt der Witwe hat angeblich
irgendwelche Akten verloren. Das Berliner
Tageblatt macht selbstverständlich den
Sturm dafür verantwortlich. Besonders
empört ist der Tanzmeister des Berliner
Tageblattes über ein Schreiben, das Herr
Dr. Blümner an jemand gerichtet haben
soll, in dem es heisst: „Wenn Frau Stramm
kein Geld bekommen hat, wird wohl auch
keines eingegangen sein“. Und dann heisst
es mit hohem, falschem Pathos: „Was ist,

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