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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 14.1923

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Siebentes Heft
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Schreyer, Lothar: Für die Jugend
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Schreyer, Lothar: Sechs Sprüche
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https://doi.org/10.11588/diglit.47213#0122

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uns zu opfern. Je mehr wir uns erkennen,
desto mehr müssen wir opfern. Je auf-
rechter wir uns erkennen, desto richtiger
erkennen wir die anderen, desto mehr er-
kennen wir das Rechte im andern und
nehmen sein Unrecht als einen Irrtum auf uns.
Der Künstler, der das Gesetz des Lebens,
die Liebe verlässt, verliert die Gesetze der
Kunst. Die Gesetze der Kunst sind dem
Künstler gegeben, damit er in ihnen das
Gesetz des Lebens, die Liebe erkenne und
als ein Wissender nach seinem Gewissen
handle.
Wir fühlen die Stunde der Entscheidung
für alle Schöpferischen. Heute scheiden
sich die Menschen, die bewusst nur in der
äusseren Welt leben, von denen, die be-
wusst die Erkenntnisse ihrer inneren Welt
in äusseres Leben wandeln. Heute wird
nur bestehen, wer sich auf sein Gewissen
stellt Nur wer es vermag, das Licht der
Einheit alles Lebens in seinem Innern zu
enthüllen, bereitet um sich die Helle und
die Wärme, in der das Leben behütet ist.
Es kommt darauf an, dass wir das Gewissen
bejahen. Wollen wir das Gewissen hören,
so können wir es hören. Rufen wir das
Gewissen, so antwortet es uns. Antworten
wir ihm, so ist unser Tun verantwortlich.
Nur wer sein Gewissen findet, hat sich
wirklich gefunden und vermag zu wirken.
Alle andere Wirkung ist Täuschung. Wer
gewissenlos zu wirken versucht, täuscht die
anderen und hindert dort, wo er helfen
will. Viele wollen anderen helfen, weil
sie sich nicht helfen können. Nur wer steht,
kann die anderen halten, dass sie nicht
fallen. Wer sich halten lässt, verlasse sich
nicht auf den Halt, sondern werde sich der
eigenen Kraft gewiss.
Der Künstler bildet die Bilder seiner inneren
Welt. Schöpft er sie aus der Einheit alles
Lebens, so vermag alles wirkende Leben
das Bild zu sehen. Das Wort, das er aus
der Fülle seines Gewissens spricht, wird
gehört von allen Wissenden. So spricht
er das Wort aller und zeigt das Gefühl
aller. So ist er frei von den Fesseln der
irrenden Person. In der Welt der schöpfe-
rischen Kräfte begegnen sich Mensch zu
Mensch und finden sich die Strahlen zum
Licht. Das ist das Leben der Kunst. Es
ist das Leben der Natur. Denn die Kunst
ist die Entsprechung der Natur. Die Natur

wirkt schöpferisch ohne Unterlass. Gestal-
ten wir unser Menschenleben schöpferisch
ohne Unterlass, so leben wir natürlich.
Die Kunst ist Erscheinung der inneren Natur
in der äusseren Natur. Wenn uns die
Aeusserung der inneren Natur selbstver-
ständlich wird, stehen wir auf uns selbst,
sind wir unserer Schöpferkraft bewusst und
gebären aus unserem Gewissen das Leben.
Das Gewissen ist unsere innere Natur, dass
unser Gewissen frei werde, müssen wir die
äussere Natur zwingen. Aus dem Zwang
wird die Freiheit geboren.
Die Freiheit des Gewissens ist die Wieder-
geburt des Menschen. Wer frei leidet,
lernt frei schaffen. Wer frei schafft, zwingt
keinen Unfreien. Wer frei lebt, hat die
Schöpferkraft empfangen.
Das Gewissen heilt. Es ist der Heiland.
Wenn es herrscht, ist der Mensch aufer-
standen von seinem Fall. Das Gewissen
herrscht, wenn wir ihm dienen.
Damit der Mensch heil werde, müssen wir
unserem Gewissen dienen.
Lothar Schreyer

Sechs Sprüche
Lothar Schreyer
I
Äusser Gott ist Nichts
So wir äusser Gott sind sind wir Nichts
Dann ist unser Tun Nichts
Dann ist unser Leiden Nichts
Nichts ist äusser Gott
Darum sind wir in Gott
Darum ist unser Tun in Gott
Darum ist unser Leiden in Gott
So wir Nichts sind sind wir in Gott
Nichts ist in Gott
So wir äusser Gott sind sind wir in Gott
So wir in Gott sind sind wir äusser Gott
So wir in Gott sind sind wir Nichts
Wir sind Nichts
II
In Gott ist Alles
So wir in Gott sind sind wir Alles
Darum ist unser Tun Alles
Darum ist unser Leiden Alles
Gott ist in allem
Darum ist Gott in uns
Darum ist Gott in unserem Tun

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