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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 14.1923

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Zwölftes Heft
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Schreyer, Lothar: Irrdunkel und Licht
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https://doi.org/10.11588/diglit.47213#0209

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STURM

MONATSSCHRIFT / HERAUSGEBER: HERWARTH WALDEN


Irr dunkel und Licht
I. Das Zimmer ist dunkel. Alle Dinge im
Zimmer fühlen sich wohl. Da kommt eine
Flamme in das dunkle Zimmer. Die Flamme
leuchtet. Nun sehen sich die Dinge. Und
Gutes und Böses ist sichtbar. Und die
Dinge fühlen sich weh. Die Finsternis will
das Leuchten verschlingen. Das Böse stürzt
auf die Flamme, das Licht zu verlöschen.
Da durchleuchtet das Licht das Böse. Da
löst das Licht das Gute. Da ist das dunkle
Zimmer eine leuchtende Flamme. Es ist
ein Brand ohne Weh und Wohl. Alle
Dinge sind nicht mehr. Es ist ein grosses
Licht, das aus sich leuchtet und sieht.
II. Nichts hilft es, den Irrgegangenen ein
Licht in die Hand zu geben. Sie sehen in
das Licht oder auf den Weg. Das Licht
blendet und jeder Weg ist auch ein Irrweg.
Wer Licht ist, geht nicht irr.
III. Nichts hilft es, dass die Menschen mich
mit ihrem Licht anzünden. Solange ich in
ihrem Licht brenne, leuchte ich nicht selbst.
IV. Dein Licht und mein Licht ist kein
anderes Licht. Mein Licht leuchtet, wenn
es das Mein verbrannt hat. Dein Licht
leuchtet, wenn es das Dein verbrannt hat.
V. Das Licht leuchtet in der Finsternis. Die
Menschen wollen es sehen und wollen es
nicht sehen. Aber die Menschen wollen
das Licht nicht sein.
VI. Wir suchen das Licht, dass es uns ge-
geben werde. Es wird uns nicht gegeben.
Es ist uns gegeben. Wir haben es, wenn
wir wollen.
VII. Auf weiten Irrwegen suchen wir den
Sehern nach. Ohne Gesicht irren wir in
die Welt. Weit aus der Welt sind die Seher
im Gesicht.

VIII. Suche in dir das Licht und du wirst
Finsternis finden. Suche in deiner Finster-
nis das Licht und du wirst deine Finster-
nis sehen. Sieh deine Finsternis und du
wirst deine Finsternis erkennen. Tu deine
Finsternis von dir und du wirst Licht sein.
IX. Ich habe in mir das Licht gesucht und
Finsternis gefunden. Ich suche in meiner
Finsternis das Licht und sehe meine Finster-
nis. Nun irre ich in meiner Finsternis.
X. Ich suche zu wissen, was Gut und Böse
ist. Je mehr mein Gewissen weiss, was
Gut und Böse ist, umso tiefer ist die Fin-
sternis in mir.
XI. Ich stosse mich in die Tiefe meiner
Finsternis, um meine Finsternis zu erken-
nen. Die Erde unter meinen Füssen wankt
Der Himmel ist eine Tiefe über mir, die
ich fürchte.
XII. Die Hölle ist eine Helle in meiner
Finsternis. Jede gute Tat in meiner Hölle
tut weh. Jedes gute Wort verbrennt mich.
Durch mich glüht die Helle meiner Hölle.
XIII. Ich kann beweisen, dass jede gute
Tat auch eine böse Tat ist. Und ich weiss,
dass jeder Beweis falsch ist.
XIV. Ich erinnere mich immer mehr böser
Taten, die ich getan habe. Jede gute Tat,
die ich zu tun glaubte, enthüllt sich als
böse.
XV. Ein Schleier ist über meinem Erken-
nen. In einem Augenblick riss ich ein Loch
in meinen Schleier. Nun sehe ich, dass
er ein Schutz war vor mir selbst. Ich habe
mich umsonst bemüht, das Loch zu flicken.
Menschen, die mich ohne Schutz sahen,
haben sich umsonst bemüht, das Loch zu
flicken. Nun will ich den ganzen Schleier
zerreissen und mühe mich umsonst.
XVI. Die Menschen liegen im Schlaf. Es
ist Mitternacht. Ich will wach sein und in

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