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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 14.1923

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Zehntes Heft
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Walden, Herwarth: Jacoba van Heemskerck
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Schreyer, Lothar: Erziehung der künstlerischen Kräfte
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https://doi.org/10.11588/diglit.47213#0173

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DER STU

MONATSSCHRIFT / HERAUSGEBER: HERWARTH WALDEN

Jacoba van Heemskerck
Und wieder ist ein Künstler dem Tod ver-
fallen, ein Künstler im Sturm des Ge-
schehens. Sie fallen im Rauschen gestalten-
den Schaffens. Und die Kunst lebt Lebt
durch sie alle über aller Tod hinaus. Nicht
mehr als Sinnbild. Als Bild aller Sinne.
Aus der Kraft der Sinne hat Jacoba van
Heemskerck die Bilder geschaffen, die die
Welt bedeuten. Die die Welt deuten.
Wasser und Berg und Baum sind ihre
optischen Eindrücke, die malerische Mittel
ihrer Bildgestaltung wurden. Die Bewegung
des Elements wird Element der Bewegung.
Naturform Kunstform. Eindruck Ausdruck.
Erdteile werden in Kunstteile gewandelt.
Kunstteile zum Bild zusammengeschlossen.
Denn Leben besteht aus Leben. Kunst
entsteht aus Kunst. Das ist das Leben
der Kunst. Jacoba van Heemskerck hat
der Kunst gelebt. Mit allem Denken und
Sinnen und Trachten. Sie ist der Kunst
verfallen, die über den Tod erhebt. Denn
nur in der Kunst lebt das Leben über das
Leben. Ihr Leben lebt als Kunst gestaltet.
Herwarth "Walden

Erziehung der künstlerischen
Kräfte
Künstlerische Kräfte sind Schöpferkräfte.
Sie wirken durch den Menschen. Ihr Werk
ist Verkündigung der inneren Welt, ist
Darstellung der Gesetze, durch die die
innere Welt in der äusseren Welt herrscht.
Diese Herrschaft ist Gestaltung. Der Mensch
schöpft aus der inneren Welt und stellt
das Gesetz hin. Die Gesetze sind klar, ein-
deutig und umfassen eine Vielheit von
Möglichkeiten. Je nach seiner Einsicht

wählt der Mensch eine mögliche Gestalt
für das Werk. Wer gesetzmässig lebt und
wirkt, lebt und wirkt schöpferisch.
Die künstlerischen Kräfte schaffen Kunst-
werke. Nach dem Zweck eines Kunstwerkes
zu fragen, ist zwecklos. Das Kunstwerk
hat einen Sinn. Alle Kunstwerke haben
einen Sinn: den einen Sinn, die geistige
Ordnung der Materie zu verkünden.
Erziehung ist Pflege des Organismus. Die
Erziehung pflegt den Organismus so, dass
er sich bilden kann. Jeder Organismus
strebt danach, in seiner äusseren Welt ein
Bild seiner inneren Welt zu sein. Die Er-
ziehung erhebt die innere Welt zum Be-
wusstsein und pflegt das Wachstum der
äusseren Welt als selbstverständliche Wir-
kung der inneren Welt.
Erziehung der schöpferischen Kräfte pflegt
die Erkenntnis der Gesetze des Lebens
durch das Erleben dieser Gesetze. Sie
lässt tun nach diesem Gesetz und nicht
anders.
Erziehung der künstlerischen Kräfte pflegt
die Fähigkeit, die geistige Ordnung der
Materie zu verkünden. Die geistige Ordnung
verkünden kann nur, wer in geistiger Ord-
nung lebt. Wer lebt, wie er erkennt, wer
tut, wie er verkündet, ist erzogen.
Es ist die Aufgabe eines jeden Menschen,
sich selbst zu erziehen. Die Erzieher
haben ihm hierzu die Möglichkeit zu geben.
Sich selbst haben sie als Beispiel zu geben.
Niemals dürfen sie sich als Vorbild hin-
stellen. Sobald das geschieht, entstehen
Nachbilder. Das Nachbild ist unschöpferisch,
tot; denn es ist nicht eigen.
Erziehungsgemeinschaft ist eine Gemein-
schaft von Menschen, die sich selbst er-
ziehen. Solche Gemeinschaften sind Familie.
Schule, Volk. Ist in der Gemeinschaft ein
Erzogener, was sehr selten vorkommt, so
ist er das Beispiel und die Mitte. Um ihn

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