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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 14.1923

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Erstes Heft
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Heynicke, Kurt: Bergbeichte
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Zweites Heft
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Liebmann, Kurt: Entfliegt
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https://doi.org/10.11588/diglit.47213#0026

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durch die fast leeren Gassen, aber mir ist,
als schritte ich durch Eis und Schnee.
Dieser Mönch ist kein Priester. Das ist der
Satan, der meine Seele aus Maria saugen
will wie ein Vampyr. Die Mensch gewordene
böse Tat aus irgend einem Jahrhundert,
welche das Kleid des Heiligen anzog, um
desto eher zu täuschen.
Ich trage einen Dolch aus venezianischem
Glase auf der Brust, ein uraltes Erbteil
meiner Väter.
Ich schreie — aber man hört mich nicht.
Vielleicht habe ich doch nicht geschrieen.
Ich stürze und rase. Tobe in einen Wirbel
Blut und Sonne und braune Haare und fühle
den Dolch in den Händen.
Steige durch Flammen und Mauern und
Himmelsblau. Und vergehe in Stöhnen und
graudunklen, wallenden Nebeln. Ich taste
an meine Finger, die voll Blut sind. Und
trage Maria und trage immerzu. Durch
Gassen und Felder und Wälder empor zu
Bergen und Gletschern. Zerreisse Abgründe
und wate durch Meere.
Aber nach und nach hemmen meine Schritte.
Mein Atem ebbt, die Seele schweigt. Auf
meiner Stirn liegen zwei feine Hände. Die
Hände Marias, die lächeln.
Ich taste umher, fühle weisse Kissen und
sehe Maria neben mir. Ein tiefer Atem
reisst die Binde: Ich habe geträumt.
Und Maria lächelt das Lächeln, welches
ich so liebe: „Ich habe mit mir gesprochen,
Liebster, während Du schliefest. Ich werde
wohl nie mehr zur Beichte gehen. Aber
lehre Du mich glauben an den grossen Gott
in uns, den wir selber leben ohne Dorne
und Mönche.“ Und Maria geht ein in das
Tor meiner Seele, wie nie ein Weib vordem.
Und ich weiss, dass sie eins ist mit mir.
„Ja“ und ich küsse sie „unser Wollen sind
Priester und unser Handeln Dome.“
Wir bleiben die Nacht bis zum Morgen.
Und Maria bleibt am Tage. Ja, sie wird
immer bleiben.
Die Stunden lachen und schluchzen. Die

ernsten Dome zerbrechen vor unserem Kuss
um Mitternacht. Unsere Liebe blüht hoch
über dem Felde der vielen.
Wenn das verborgene Licht auf die Berg-
spitzen steigt, schreiten wir bergwärts Hand
in Hand. Denn Du sollst fröhlich sein,
Maria, dass unser Kind Lachen werde.
Lachen im Ernst und Ernst im Lachen.
Wir wissen nicht, dass nur eine einzige
Sonne ist. Wir sind stark geworden, weil
wir den Hammer ertrugen, der uns schlägt
die Jahrtausende lang. Auf unserem Wege
liegen zertrümmerte Götter und tote
Menschen, brennende Kirchen und Städte
im Erdbeben.
Wir wissen nichts, Maria.
Wir schreiten.
Und lachen unser Kind.

Entfliegt
Müde reicht Flocken Brot. Abendfüsse
weiche Sandalen unter schneeigem Gewand.
Wolken und Licht tragen Blut aus Fleisch
und Felsen immer sprudelnd Schalenfülle.
Ich zittere lendenschief auf roter Brücke
zwischen Traurigsein und Tod. Da wächst
Dein Haar und schöpft aus Tiefen Berge
Wald und Tiefen klopfen goldene Seelen
pochen weben rauschen raunen zaubern
Wald. Mein Lächeln springt. Schiesst Pfeil
nach rasem Einhorn meines Bluts. Die
schwarze Sonne Deiner dunklen Stimme
zwischen den Stämmen des Gesangs behänge
ich mit dem Silber meines Wo-Wohin der
tiefen Schlucht aller verirrten Seelen und
blühenden Schlangen. Fühlst Du den Knie-
fall meines Gebetes, das noch den Atem
Deines Schrittes segnet buhlend mit mir
fremden Wesenheiten.
Die Flamme, kriecht. Wirft Zahn. Oh
süsses Gift. Gluten donnern recken Härten.
Strahlen zacken.
Ich senke die E’iten des Vergessens in
Deine Augen. Der Vogel schreit. Nimmt
meines Schattens Klage auf die rauschen
Flügel und entfliegt ins Nest des Monds.
Kurt Liebmann

Inhalt
Herwarth Walden: Die Insel / Tragödie
Rud Broby: Digte
Kurt Heynicke: Bergbeichte
Kurt Liebmann: Entfliegt
Moholy-Nagy: Linoleumschnitt / Vom Stock gedruckt
Jozef Peeters: Linoleumschnitt / Vom Stock gedruckt
Johannes Itten: Bildnis eines Kindes / Gemälde / Vielfarbendruck
Januar 1923

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