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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 14.1923

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Drittes Heft
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Schreyer, Lothar: Schreiberei über Bilder
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https://doi.org/10.11588/diglit.47213#0047

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DER STURM
MONATSSCHRIFT / HERAUSGEBER: HERWARTH WALDEN

Schreiberei über Bilder
Wer es unternimmt, Einführungen in ein
künstlerisches Werk zu schreiben, begeht
eine Torheit. Noch heute sind die beiden
unfreundlichen Berufe der Kunstgeschichtler
und Kunstkritiker an der Arbeit, Kunst-
werke zu zerreden und zu zerschreiben.
Denn sie haben nicht gelernt, dass diese
Arbeit unnützlich ist, die Sinne unfähig
macht und den Charakter verdirbt. Der
Kritiker, der ein gebratenes Huhn zerlegt,
ist mitunter nützlich, wenn auch nicht tier-
freundlich. Der Kritiker, der ein Bild zer-
legt, ist nicht kunstfreundlich und immer
unnützlicb. Ein zerlegtes Bild kann niemand
verdauen wie gebratene Hühnerleichen. Es
ist Unsitte geworden, geschlachtete Bilder
als Einführung in ein Bild zu geben. Das
ist nicht menschenfreundlich an denMenschen
gehandelt, die ein Bild haben wollen. Das
ist so traurig, dass die Menschen über die
Kritiker nicht lachen können; denn töten
ist eine Handlung, bei der mindestens die
Zuschauer nicht lachen können. Den
Menschen die Kunst suchen, preisen sich
diese Kritiker an. Wir können es nicht
hindern. Aber wir wollen laut sagen, dass
kein Schlächter jemals jemandem ein Leben-
des geben kann und will.
Kunst suchen alle Menschen. Wer die Kunst
äusser sich sucht, findet sie nicht. Wer
Kunstwerke sammelt, hat darum noch nicht
'e Kunst gefunden. Sammeln von Kunst-
werken hat nur den einen Sinn: sie vor
er Feindschaft der Nichtkunst zu retten.
RSt n^c^lt der Sinn der Kunstgeschichte.
„ Kunstgeschichte sammelt Werke, ohne
an werke und Geistwerke zu erkennen.
Sie kann daher weder die Kenntnisse der
Handwerke noch die Kenntnisse der Geist-
weike übermitteln. Wer in der Kunstge-
schichte Kunst sucht, ist auf sich angewiesen.

Der Kunstgeschichtler ist dem Suchenden
der untauglichste Führer. Denn der Kunst-
geschichtler weiss nicht, was er findet. Der
Beruf verkümmert ihm die Sinne, das Bild
zu sehen. Die wissenschaftliche Beschäfti-
gung mit dem Bilde ist kunstabgewandt.
Der Mensch, den der Wissenschaftler un-
gebildet nennt, ist meist kunstnah. Die
Kunstfernen können die Kunstnahen niemals
überreden. Dass sie es versuchen, können
wir nicht hindern. Aber wir können von
ihnen fordern, dass sie die Tatsachen, die
mit Kunst nichts zu tun haben, ohne
Fälschung und aus Kenntnis der Tatsachen
sagen. Allen Mitmenschen aber ist zu sagen:
Die Tatsachen der Kunstgeschichte sind un-
wesentlich für die Kunst.
Der verbreitetste Irrtum ist die Annahme,
das Kunsterlebnis werde gefördert durch
die Kenntnis vieler Tatsachen aus dem
persönlichen Leben des Künstlers. Es ist
das der Aberglaube derer, die ein Ver-
ständnis von Kunstwerken für möglich halten.
Das Kunstwerk kann nicht durch den Ver-
stand aufgenommen werden. Das Kunst-
werk wird durch einen Sinn aufge-
nommen, der nur irreführend mit einem
Wort bezeichnet werden kann. Die Kunst-
geschichte kennt das Leben der Künstler
nur aus den Wirkungen der Künstler. Eine
Art dieser Wirkungen sind die Kunstwerke.
Die Summe aller Wirkungen ist das äussere
Leben des Künstlers. Die Kenntnis der
Ursachen kann aber nicht erreicht werden
durch eine noch so grosse Kenntnis der
Wirkungen. Die Ursachen, das gesamte
innere Leben, sind der Aufnahme durch die
äusseren Sinne und der Aufnahme durch
den Verstand verschlossen. Jedes Kunst-
werk ist ein Organismus, Zwischen mehre-
ren Kunstwerken bestehen keine anderen
Zusammenhänge als die Gemeinsamkeit des
inneren Lebens, das sich in jedem Werk

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