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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 14.1923

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Elftes Heft
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Heynicke, Kurt: Tai-a-oh
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https://doi.org/10.11588/diglit.47213#0193

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So hat Tai nicht not, die Hülle von Tieren
über sich zu werfen, wie die Könige der
Wilden. Er geht ganz nackend und weiss
nicht, was Scham ist.
An Pflanzen, Palmen und niederen Säuge-
tieren ist die Insel reich, die Sonne ist bis
auf Wochen im Jahr immer gleich prall
über dem Eiland. Alle Feuchtigkeit kommt
vom Meer. Nur ein Bach süssen Wassers
rauscht aus dem verklommenen Dickicht
des Waldes und geht zwischen nackten
Felsen ins Meer.
Urzeit warf mit einem Feuerstrahl die Insel
hoch, mit vielen anderen und grösseren im
Umkreis; als die Erde unter den Wassern
wiederum riss, nahm sie die anderen
mit hinab. Dieses Eiland aber ist ge-
blieben, inmitten einer gemiedenen Wasser-
wüste, weitab von der Strasse der Schiff-
fahrt.
So lebt Tai. Er ist kein Mensch mehr,
seine Sinne sind diesseitig, dem Frass er-
geben, mehr ist nicht in ihm. Es gibt
Eier der Vögel in Felsspalten und hohen
Bäumen, und Tai klettert wie eine Wild-
katze. Fische sind im Meer. Tai schwimmt
besser als ein Hai, so schwimmend kämpft
er mit Raubfischen. Niederes Nagezeug
verschont er, aber die Vögel liebt Tai zu
greifen, die nahe am Felsen streichen.
Wie zwischen Sauriern seiner Urvorfahren
lebt Tai-a-oh, nichts unterscheidet ihn vom
Leben seiner vorallerzeitlichen Eltern. Der
Tropfen Wildblut aus jener Zeit ist ge-
wachsen, die Seele, welche in Jahrtausen-
den die verlorene Menschheit zurückzuer-
obern begann, ist vom Irrsinn erdrückt.
Urblut ist Sieger.
Aber doch, da ist ein Rest geblieben. Ein
Tropfen Seelensinn ist eingeklemmt, der
beginnt manchmal zu schmerzen. Das sind
die Stunden, in denen zuckendes Geleucht
das verlorene Hirn zu erhellen scheint.
Dann sitzt das braune Wesen auf einer
umschäumten Klippe und aus seiner ver-
quollenen Brust löst sich jener Laut, der
Ausdruck für alles ist, was sein Sehen und
Hören bedrängt: Tai-a-oh.
Bis auf jenen Spalt Licht in seinem Innern
ist Tai Tier, ja, es wäre besser zu sagen:
Der Wahnsinn ist das einzig Menschliche
an ihm. Er unterscheidet ihn im Wesen
von Vogel, Fisch und Ratte.

Er ist der Natur verbunden, die ihn um-
gibt. Ihre Gezeiten bestimmen sein Dasein,
aber er fühlt dies nicht, alles in ihm ist
untertänig, der Sonne, der Nacht, dem
Wind, dem Tau.
Ist die Regenzeit da, überrinnt Schlaf auch
ihn, schwer von der Müdigkeit eines
sonnenvollen Jahres verkriecht er sich in
seinen Höhlenspalt und enthält sich der
Nahrung.
Spielt der Sturm auf dem Meere, einer
tausendfüssig trabenden Elefantenherde
gleich kommen die Wogen der Insel nahe,
fürchtet sich Tai nicht. Aber er ringt
auch nicht mit dem Wetter. Wie ein
Klumpen Erde kauert er am Rand seiner
Felsenspalte und seine Augen stechen ins
Toben der trächtigen Winde. Eine Palme
schwankt zur Erde, ein Baum lässt sich
entwurzeln, die Lianen an ihm zerreissen:
Tai ist ruhig.
Nach solchen Stürmen ist die Luft entladen
und wie ein Wildlier nach dem Gewitter
der reineren Luft entgegenatmet, so gibt
sich auch Tai der Gelöstheit der Gräser
und Bäume und Tiere hin. Mit wiegendem
Gang und geschmeidigen Gliedern hebt er
sich abwärts zum Strand und läuft die
Breite der beruhigten Wellen ab.
Vielleicht kehrt der Hauch der zerstörten
Denkfähigkeit schattenhaft wieder: so war
es damals und das sucht er.
Aber wiederum in einer Nacht, als Blitz
und Donner sich über dem Scheitel der
Insel treffen, mischt sich in das Wutgezeter
der berstenden Wolken die Lärmkanone
eines Schiffes. Quer über die geballt im
Kreise rasenden Schwarzwolken knallt ein
Flammenschein, wieder und wieder, bis er
auf einmal wächst zum glühenden Rot, die
Sturmwolken in seine blutigen Farben
tauchend.
Da schüttelt sich Tai, das sah er nie —,
und geht in seine Höhle und verfällt in
Schlaf.
Der Morgen treibt ihn zum Strand. Eine
unbekannte Macht reisst ihn heule hin und
her, springende Unruhe betont Schritt und
Gebärde. Tai watet durch die seichten
Wasser, schwimmt ein Stück und verhält
dann auf der Klippe, welche ihm sonst
zum Ruheplatz dient, wenn er matt ist vom
Fang der Fische.

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