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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 14.1923

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Neuntes Heft
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Déry, Tiborné: Blaue Glasfiguren
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https://doi.org/10.11588/diglit.47213#0160

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dann auf den Gummischemel zurück.
Die alten Jungfern jammerten laut in dis-
ziplinierten Chören, liessen blaue Bänder
flattern. Der Redner trat auf die Tribüne,
verbeugte sich leicht.
Was ist demnach die Milchstrasse? — sagte
er nachdenklich. — Die wahrscheinlichste
Antwort darauf hat der Holländer Easton
gegeben. Die Milchstrasse ist ein ungeheuer
grosser Spiralnebel. Der, unserer Erde
nächst gelegene Punkt liegt in einer Ent-
fernung von 7000 Lichtjahren. Die zwei
grossen Ströme haben ihre Divergenzpunkte
im Grossen Hund und in der Südlichen
Krone. Wenn zwei solche Gasnebel zu-
sammenstiessen, würden bei einer Geschwin-
digkeit von 20 bis 30 Km in der Sekunde
etwa 40000 Jahre vergehen, bis sie aneinander
vorbeikämen. Schon Demokrit äusserte die
Ansicht . . .
Der Leichenbestatter begab sich mit dem
Aufzug auf die Mauer, trat vor die Glas-
figuren, verbeugte sich leicht:
— Anlässlich der grossen Katastrofe — sagte
er leise — gestatten Sie mir, Ihre Aufmerk-
samkeit . . . auf die luxuriös ausgestatteten
Selbsmordzellen unserer Firma zu lenken ...
in denen lautlose Bedienung ... die letzten
24 Stunden vor der Operation distinguierteste
Genüsse ... je nach Geschmack . . . Jung-
frauen oder muskulöse Neger . . . tropische
Beleuchtung, Tropfsteinhöhlen oder sub-
marine Pflanzen dekoration . . . auch ein
elegant melancholischer Park steht zur
Verfügung, mit regulierbarer Witterung und
Maiglöckchen . . .
Plötzlich erlosch das Magnesiumlicht und
vor der verdunkelten Wand verschwand
die Versammlung. Als letzter verliess der
tote Journalist den Lichthof, der Akten-
taschen und Gummischemel unter dem
Arm haltend, mit ziemlich elastischen
Schritten dem Ausgang zueilte. Der Mond
und die Sterne kamen wieder zum Vorschein,
in ihrem schwankenden Licht ein Hase lief
über die Wiese, schleppte seinen blutroten
Schwanz lang hinter sich her. Die Glas-
figuren lehnten sich an die Telegrafendrähte
und schliefen mit offenem Munde ein.
Indessen schwamm der Jüngste mit der
Jungfrau in ein Palmenwäldchen, ruderte
in einem rosafarbigen Sandolin über den
See und sein Herz schlug wie ein Harfen-
spiel. Die Platanen beugten sich mit

durchsichtigen Körpern übereinander, unter
dem Laub floss ein schwefelfarbener Bach,
die Vögel hingen in grossen Büscheln von
den Zweigen. — Wipp-wipp — sagten sie,
nickten mit dem Kopf und dachten an den
Mond, wenn er abends aufgeht und über
den Wipfeln summt, Lange Bienen mit
Mädchengliedern schwebten über den
Sträuchern, öffneten die Blätter und sogen
den Schaum aus.
— Ich liebe dich — sagte der Jüngling wie
rasend und seine Stirne füllte sich bis zum
Rande mit Licht.
— Ich verstehe Sie nicht — sagte die
Jungfrau, riss eine Orangenschnitte vom
Mond ab, ass sie mit kleinen Zähnen.
— Ich liebe dich — sagte er wie rasend
und über dem dunkeln Gras glühte sein
Körper wie mitternächtliche Sehnsucht.
— Was sich liebt, das neckt sich — sagte
die Jungfrau, erschauerte und küsste einen
Engel, der mit weichen Flügelschlägen durch
ihre Arme flog.
— Ich liebe dich — sagte er wie rasend —
was begehrst du? — Er weinte, schlug mit
der Stirne auf die Erde und auf seiner
Brust entstand aus blau leuchtenden Narben
ein schmaler Kranz.
Die Jungfrau schaute ihm träumerisch in
die Augen. — Der Durian — lispelte sie —
ist eine edle Frucht, von der Grösse einer
Rosskastanie, mit heftigen und schmerz-
lichen Stacheln bewappnet. Wer kennt ihr
Fleisch, welches köstlich und zart ist, wie
eine Creme? Doch der Geruch überwältigt
wie Limburger Käse, weh-weh, es gibt
keine Rosen ohne Dornen, Geliebter! —
Ein Salamander kroch vom Baum, ver-
wandelte sich in ein silbernes Säckchen
und entflog mit dem Wind. Lange hörten
sie noch sein Läuten. Dem tiefen Moos
entschwebten kleine Töne, glühten auf und
knisterten ersterbend. Aus dem Gesträuch
fiel ein Mangoapfel in das Gras und ver-
breitete einen leichten Terpentingeruch. Die
Jungfrau wandte sich von Ekel erfüllt ab
und spuckte aus.
— Was ist Ihr Beruf? — fragte sie streng —
was für eine gesellschaftliche Stellung kön-
nen Sie mir sichern, wie heissen Sie, wie
alt sind Sie, wer gewinnt das nächste Derby,
grossen Glanz hat der Mond und die Blätter
fallen herunter, kennen Sie Tibor Döry, den
träumerischen, doch grausamen Dichter? —

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