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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 14.1923

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Viertes Heft
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Kemény, Alfréd: Das dynamische Prinzip: der Welt-Konstruktion im Zusammenhange mit der funktionellen Bedeutung der konstruktiven Gestaltung
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https://doi.org/10.11588/diglit.47213#0079

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der Welt beruht daher auf der strengen
Organisiertheit von Bewegungs-Relationen
der Weltkörper, wo ein jeder Teil im Ver-
hältnis zu der Weltbewegung funktioniert.
Konstruktivität der allseitigen Dy-
namik fügt die Körperteile der Welt
zu einer dynamischen Welt-Kon-
struktion zusammen.
Ein jeder mikrokosmische Teil des Makro-
kosmos beruht auf derselben konstruktiven
Gesetzmässigkeit dynamischer Gegensätze
wie der Makrokosmos selbst. Der Mensch,
der in seinem organischen Aufbau den
Gesetzen des dynamisch-konstruktiven Welt-
systems gehorchend funktioniert, ist daher
in der Funktionalität seines organischen
Apparates bedingt von dem funktionellen
Prinzipe des Welt-Mechanismus: der
Bewegung, das heisst, der Men sch ist ein nach
kineto-mechanischen Gesetzen funktionie-
render Apparat. Die gesetzmässige Einheit
des menschlichen Organismus — homolog der
Einheit der Welt — beruht ebenfalls auf der
strengen Organisiertheit von Bewegungs-
Verhältnissen der einzelnen Organe, wo ein
jedes Organ im Verhältnisse zu der Be-
wegungs-Einheit des 0 rganismus funktioniert.
Konstruktivität der gegenseitigen Dy-
namik fügt auch die Körper-Teile des
Menschen zu einer dynamischen
Mensch-Konstruktion zusammen. Be-
wegung ist die Funktion des Kosmos wie
des Menschen.
Jede menschliche Gestaltung und Erfindung
auf dem Gebiete der Kunst wie im Be-
reiche der Wissenschaft, der Gesellschaft
und der Technik hat vor allem im Ver-
hältnisse zu der Funktionalität des mensch-
lichen Organismus eine Bedeutung, indem
jede schöpferische Arbeit durch ihre neue
aktive Gesetzmässigkeit die funktionellen
Möglichkeiten des menschlichen Organismus
erweitert. Sie zwingt das entsprechende
menschliche Organ, worauf sie mit ihrer
Funktionalität primär wirkt, nach Aufhebung
der Widerstände der Trägheit, mit der sich
das entsprechende Organ an die alte, be-
reits erschöpfte Gesetzmässigkeit klammert,
mit ihrer Aktivität die neue vitale Gesetz-
mässigkeit aufzunehmen. Dadurch entsteht
immer durch den Zusammenhang des be-
treffenden einzelnen Organs mit der Funk-
tionalität des gesamten Organismus eine Er-
weiterung der Funktionsmöglichkeiten des

menschlichen Organismus. Zum Beispiel
neue optische Gesetzmässigkeiten in ihrer
Materialisation als Farbengestaltung wirken
primär erweiternd auf das menschliche
Organ: Auge, neue akustische Gesetzmässig-
keiten als Ton-Gestaltung primär auf den
akustischen Apparat: Ohr. Durch die funk-
tionelle Zusammengehörigkeit des Ohres und
des Auges—siehe Hausmann: Optophonetik —
fördernd aufeinander und durch den funk-
tionellen Zusammenhang sämtlicher Organe
auf den ganzen Organismus des Menschen.
Darin besteht der ethische Wert der ge-
staltenden — erfinderischen — Arbeit primär,
dass durch sie ein Gefühl der Organ-Minder-
wertigkeit immer aufgehoben wird, und
daraus eine Bereicherung der organischen
Funktions-Möglichkeiten entsteht.
Die Notwendigkeit der Metaphysik beruht
auf der Unvollständigkeit des menschlichen
Erkenntnisvermögens, bedingt durch die be-
schränkte Aufnahmefähigkeit der Sinnes-
Apparate. So, dass bestimmte reale Zu-
sammenhänge der Welt, empirisch nicht
erfassbar, irrational erklärt — verfälscht —
werden müssen. Durch die Möglichkeit, die
empirische Aufnahmefähigkeit des Menschen
zu erweitern, nimmt proportional die Not-
wendigkeit der Metaphysik ab und nähert
sich der Zustand, wo das menschliche Leben
durch die Erweiterung der organischen
Funktionalität seine höchste Steigerung er-
hält.
Jetzt sollen diejenigen neuen aktiven Ge-
setzmässigkeiten der konstruktiven Ge-
staltung auf dem Gebiete der bildenden
Kunst untersucht werden, die auf gegebene
funktionelle Verhältnisse des menschlichen
Organismus bereichernd wirken. In wel-
chem Sinne ist diese Bereicherung zu er-
warten?
Konstruktivität ist, wie wir sahen, eine der
Hauptgesetzmässigkeiten des kosmischen
wie des menschlichen Aufbaues: Konstruk-
tivität, die auf dynamischen Gegensätzen
kontrastierender Bewegungen beruht. Die
Komposition, das Reproduzieren der Kon-
struktion der Natur und des Menschen.
Konstruktion selbst wurde in der klassischen
Kunst nur sekundär verwendet. Im Zer-
störungsprozess der klassischen Kunst — der
klassischen reproduktiven Konstruktion —
wurde das strenge, aus der Funktionalität
des Kunstwerkes entstandene organisa-

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