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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 14.1923

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Fünftes Heft
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Schacht, Roland: Archipenko, Belling und Westheim
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https://doi.org/10.11588/diglit.47213#0095

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schlagend, vorlas „Er nahm sein Bett und
— flog davon“: Dunnerslag, dat steiht hier
so!) Archipenkos Skulpto-Malerei „Zwei
Frauen“ ist „vielleicht mehr“ (fast beinah
nicht ganz und noch ein bischen!) „eine
Uebersetzung dieser neugefundenen Formen-
welt. Es wird reflektiert;, (!) wie sie als
plastischer Rhythmus (das ist so als wenn
man sagt Westheims Kunstblatt) nutzbar ge-
macht werden könnte.“ „Für Archipenko ...
war das Erlebnis weniger das Motorische
der Energie als die Eigenart dieser neuen
Ausdruckslormen (dadadada), ihre Präzision
und die Eleganz ihrer Präzision“. „Was mir
seine kleine Venus so bewundernswert und
zu einer der prägnantesten Leistungen des
Bildhauers macht, ist, dass die Bronze
wirklich auf die Präzision, diese metallische
Knappheit und Bestimmtheit der Form-
führung gebracht ist, wie sie Voraussetzung
sind für das reibungslose Funktionieren des
Feinmechanismus einer modernen Werk-
zeugmaschine“. (Venus als Nähmaschine!)
Also erstens ist er reflektierend. Zweitens
arbeitet er wie ein guter Radfahrfabrikant.
Schliesslich ist er auch noch (ich habe nicht
Raum genug das alles zu zitieren) „raffiniert
im Sinne des Bibelot“ und feminin.
Also kurz ein technisch präziser Kitschier.
Als Beweisstücke dienen der Torso von 1913,
die Stehende Frau von 1921 und die Skulpto-
malerei „Zwei Frauen“ von 1920. Das ist
alles, was in einem Buch über die Probleme
moderner Plastik von Archipenko gesagt
wird.
Folgen Lipschitz, Brancusi, die Leiten
Zalkalns, Zalit und Dzirkal. Und dann
kommt — Rudolf Belling. Jetzt sollt ihr
sehen, was ’ne Harke ist. „In Deutschland
hat Belling bewusst und mit der ganzen
Energie einer Persönlichkeit, die von der
Überzeugung erfüllt ist, das aus der gegen-
wärtigen Situation entscheidende Problem
erkannt und in Angriff genommen zu haben,
sich dem Architektonischen zugewandt.
Wobei er das Glück hatte, einmal auch —
vielleicht ist es das Glück des Tüchtigen —
in der „Scala“ die Möglichkeit zu finden,
seine Absichten im Architekturraum ver-
wirklichen zu können“. Zunächst wird
eine 1915 entstandene unausgeführt ge-
bliebene Studie zu einer Verwundetengruppe
besprochen. Obgleich sie „in der Anlage
schon verrät, wie Belling von der ersten

selbständigen Regung an sich das Problem
gestellt hat, das sein Skulpturschaffen be-
stimmen soll,“ lässt sie erkennen, dass es
„sich im Grunde um das gleiche Gestaltungs-
prinzip handelt wie im „Sabiner(!)raub“ des
Giovanni da Bologna. (Das aus der gegen-
wärtigen Situation heraus entscheidende
Problem scheint demnach schon einmal im
Barock existiert zu haben). Die bildnerische
Absicht war, Bewegung — ein Zeitmoment —
(ja, ein Zeitmoment! Dat steiht da so) ins
Räumlich - Plastische zu transponieren.“
Gleich darauf heisst es allerdings: „ist hier
die Intention, die plastische Masse aus sich
heraus in den Raum hineinzutreiben,“ (ich
kenne mich nun nicht mehr aus und zitiere
daher noch ein Stückchen weiter:) „wie die
Windmühle gleichsam (!) Flügel auszu-
strecken (Belling!), Organe die eben dadurch,
dass sie in die Sphäre hineinragen, Energie
von draussen auffangen und umsetzen in
motorische Kraft (Technik schwach!). Durch
Gliederung und Bewegung Raum zu erfassen,
nicht nur zu erfassen, auch zu umfassen,
Luft mitzumodellieren. Deutlicher als alle
Erklärungen (je te crois!) die (von West-
heim) gegeben werden könnten, dürfte das
die Ansicht des „Dreiklang“ machen“. Und
nun wird Belling selbst zitiert: „Für mich
ist Plastik zunächst Raumbegriff; nicht wie
bisher auf zweidimensionale Bildwirkung
modellierte Illustration. Darum verarbeite
ich die Luft ebenso wie festes Material und
erreiche, dass der Durchbruch, früher „tote
Form“ genannt, denselben Formwert dar-
stellt, wie seine Eingrenzung, das bearbeitete
Material.“ Wir wollen uns bei der Ver-
wechselung von Luft und Raum oder bei
dem fabelhafte Unwissenheit verratenden
„wie bisher“ nicht aufhalten. Es ist nicht
nötig, dass ein Künstler sich in Worten klar
ausdrücke oder kunstgeschichtliche Kennt-
nisse habe. Wir wollen nur freundlich
darauf hinweisen, dass dieser Dreiklang aus
dem Jahre 1919, die „unausgeführt geblie-
bene“ Studie aus dem Jahre 1915 stammt.
Man wird gleich sehen wozu.
Diese Mitmodellierung der Luft nun stellt
Westheim als ein enormes Verdienst Bellings
hin, als eine erstklassige Tat, mit der er
einen bedeutenden Schritt aus der Enge der
Atelierproblematik (siehe die „reflektierende“
Art Archipenkos) heraustrat und deren lo-
gische Konsequenz das „Skala“experiment

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