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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 14.1923

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Siebentes Heft
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Blümner, Rudolf: Varia memorabilia
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https://doi.org/10.11588/diglit.47213#0132

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Wir beabsichtigen, das in Ihrem Verlag er-
schienene Prachtwerk gleichfalls herauszu-
geben. Wir schlagen Ihnen vor, dass Sie
uns die Matern und die Klischees für einige
Zeit leihweise überlassen. Das Papier
werden wir selbst liefern. Selbstverständ-
lich erhalten Sie die Matern und die
Klischees nach erfolgter Drucklegung
zurück.
Das ist, wie wenn einer sagt: Sie haben da
ein herrliches Automobil. Ich schlage
Ihnen vor, dass Sie es mir überlassen.
Das Benzin liefere ich selbst.
♦ *

Handelsüsanzen
Ein Schuhfabrikant sandte einen Angestellten
nach Berlin. Dieser musste sich vor den
Geschäften postieren, die Waren des Fa-
brikanten verkauften. Hier machte sich
der Angestellte an die Kunden heran, liess
sich ihre Namen und Adressen geben und
erbot sich, ihnen die Schuhe frei ab Fabrik
zur Hälfte des Preises zu liefern.
Das ist, wie wenn ein Maler in der Aus-
stellung Interessenten abfängt und sich er-
bietet, ihnen die Bilder nach Schluss der
Ausstellung frei ab Atelier billiger zu ver-
kaufen.
Der Vergleich hinkt. Denn das erste ist
noch nie vorgekommen. Das zweite habe
ich schon häufig erlebt. Es ist die noch
wenig bekannte Ausbeutung der Aussteller
durch die Künstler.
* *


Beitrag zur Faust-*Forschung
Goethe hat es den Kritikern und Journalisten
allezeit gut gegeben. Es ist herzerquickend,
wenn er den Mephisto sagen lässt:
Denn eben wo Begriffe fehlen, da stellt ein
Wort zur rechten Zeit sich ein.
Hinter diesem Mephisto steckt nicht der sar-
kastische Goethe, der sich über begrifflose
Worte lustig macht, es ist der grosse Charak-
teristiker (hihi!), der den Mephisto wie einen
Dozenten des Feuilletonismus reden lässt.
Es ist die Kunst der banalen Zeitungsphrase,
in die er den Schüler einweiben lässt.
Wie? Goethe sollte als Mephisto, Mephisto

als Goethe einen solchen Unsinn äussern?
Wo Begriffe fehlen, soll sich ein Wort
einstellen? Das hat auch Goethe nicht
geglaubt. Oder ich muss mit Düntzer sagen:
Hierin irrt Goethe. Auch das dümmste
Wort, das je erfunden worden ist, der
Dadaismus, hat einen Begriff. Es ist die
Albernheit von Menschen, die bereits mutiert
haben und ihre Albernheit gegen Entree
beweisen wollen, damit die Leute sagen
können: wir hättens nicht geglaubt, dass
es eine solche Albernheit gibt. Und auch
das hat sein Gutes. Denn es beweist den
Journalisten, die sich In solchen Fällen auf
Goethe und Mephisto berufen, dass sich kein
Wort einstellen kann, wenn der Begriff fehlt.
Der Begriff ist immer vor dem Wort da.
Wo Begriffe sind, wird sich zur rechten oder
unrechten Zeit ein Wort einstellen. Es wäre
verdienstvoller, wenn sie nach dem Begriff
des Wortes suchen, das sie nicht begreifen.
Aber ehe sie sich diese Mühe machen, berufen
sie sich lieber auf einen Unsinn, sagen wir,
Mephistos.
♦ *
*

Das Erkenntnisproblem
Man erinnert sich, dass vor zehn oder zwölf
Jahren, als die ersten Werke der neuen
Malerei zu sehen waren, mit Ausnahme von
zwei bis drei Schriftstellern die berufsmässige
Kritik die neue Kunst ablehnte. Man weiss
auch, dass sich hierin einiges geändert hat.
Es gibt heute eine Anzahl von Berufskritikern,
die mit verschieden geartetem und verschie-
den gesteigertem Verständnis über die neue
Kunst urteilen. Unter ihnen sind nur wenige,
die es mit ganzem Verständnis tun, und
einige, die ohne Urteil etwas aus Mode mit-
machen, das keine Mode ist. Die Mehrzahl
dieser Urteiler steht der neuen Kunst so
ratlos gegenüber wie einst und scheint nicht
einmal zu bemerken, dass die neue Kunst,
die der Kritiker des Berliner Tageblatts seit
Jahr und Tag für tot erklärt, lebendig ist,
sich vermehrt und verbreitet.
Zu alledem habe ich noch ein Weiteres
zu bemerken.
Auch diejenigen, die von der neuen Kunst,
ihrer geistigen Tendenz und ihrer Notwen-
digkeit durchdrungen sind, können nur hoffen,
dass diese Kunst einst auch diejenigen über-

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