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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 14.1923

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Zehntes Heft
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Walden, Herwarth: Der Fall Berliner Tageblatt
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https://doi.org/10.11588/diglit.47213#0178

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Herr Dr. Blümner, mit den Werken Stramms
geschehen?“ Jetzt möchten aber die Leser
des Berliner Tageblattes wirklich gern
wissen, wer dieser August Stramm ist.
August Stramm ist der entscheidende und
grösste Wortkünstler dieser Zeit Seit
Heinrich von Kleist hat es in Deutschland
keinen bedeutenderen gegeben. Seine Werke
wurden nirgends angenommen und nirgends
veröffentlicht. Nur im Sturm. Als sie in
der Zeitschrift Der Sturm zuerst erschienen,
fand das übliche Hohngelächter der ge-
samten deutschen Presse statt. Die deutsche
Presse konnte sich garnicht im unberech-
tigten Nachdruck ‘genug tun. Nur, um
diese „deutschen Geistesprodukte“ mit ihrem
eigenen deutschen Geist zu verhöhnen. So-
weit es nicht geschah, schwieg die Presse.
Das Berliner Tageblatt in besonders gross-
zügiger Weise. Die allernächsten Ver-
wandten des Dichters hielten ihn für ver-
rückt. Zeuge: August Stramm. Nachdem
Der Sturm, Rudolf Blümner und ich mit
allen erdenkbaren Frechheiten und Pöbe-
leien fast ein Jahrzehnt lang von den Ver-
tretern des deutschen Geistes überschüttet
worden sind, nachdem wir diesen Künstler
gegen die Verwandtschaft, gegen die Presse
und gegen das Publikum durchgesetzt
haben, nachdem man nun beginnt, zu sehen,
einzusehen und aufzusehen, nach diesen
Qualen und Kämpfen kommt der Tanz-
redakteur des Berliner Tageblattes und
fragt uns: „Was ist mit den Werken
Stramms geschehen?“ Er fragt noch mehr:
„Wo sind die Akten des Vertragsbruches?“
Damit meint der Flerr die Akten, die nach
Aussage seiner Zeugin angeblich der Rechts-
anwalt seiner Zeugin verloren hat. Diese
Akten enthalten unsere Feststellungsklage
gegen die Witwe, dass wir in jeder Hin-
sicht rechtmässig gehandelt haben. Das
Schiedsgericht hat es uns bestätigt. Ein
Beisitzer dieses Gerichts ist bekanntlich ein
Mitglied des Verbandes der deutschen
Bühnenschriftsteller. Frage des Berliner
Tageblattes: „Welcher Art, Schutz verband
der Bühnenschriftsteller, war Deine Hilfe
in diesem Falle?“ Antwort: Der offizielle
Vertreter des Verbandes der deutschen
Bühnenschriftsteller. Und nun im Stil des
Herrn Sudermann, eines Autors, ' für den
das Berliner Tageblatt seit Jahrzehnten
kämpft und leidet: „Es geht hier nicht um

Stramm, nicht um diese Frau, mit der
Schindluder getrieben wurde, sondern es
geht um die Würde des Standes der geisti-
gen Arbeiter, der hier erniedrigt und be-
leidigt wurde.“ Schindluder ist höchstens
von dieser Frau mit der Redaktion des
Berliner Tageblattes getrieben worden, der
ich gern den guten Glauben zuspreche,
wenn es sich um Angriffe gegen den Sturm
handelt. Die Würde des Standes der geisti-
gen Arbeiter, der sich offenbar beleidigt
und erniedrigt fühlt, kann nicht besser als
durch die Wiedergabe eines Gedichtes ge-
kennzeichnet werden, das mit Begeisterung
in der gesamten deutschen Presse im Jahre
1914 veröffentlicht wurde. Das Gedicht
heisst:
0
Au
Gust! Du bist
das grösste
Schaf¬
fende
dichterisch
e
Genie des
Jahr- •
hunde¬
rts!
14
Tage
Schützengraben
würden dich
ku¬
rieren.
Dieses Gedicht ist noch 1915 in den Zei-
tungen veröffentlicht worden, nachdem
August Stramm bereits nach 70 Schlachten
und Gefechten als Hauptmann gefallen war.
Damals wusste das Berliner Tageblatt aller-
dings noch nichts von August Stramm.
Denn sonst wäre es nicht zu verstehen, wie
ein Blatt von dem hohen ethischen Rang
und von der Macht des Berliner Tageblattes
es unterlassen hätte, gegen die Verhöhnung
eines Gefallenen vorzugehen, dem es im
September 1923 hohen künstlerischen Rang
zuerkennt. Ich verstehe diese Methode der
Wiedergutmachung durchaus. Es ist der
berühmte Dolchstoss von hinten. Der
Redakteur des Berliner Tageblattes will
rückwärts entdecken und muss daher zu-
nächst einmal die Leute beseitigen, die
wissen, dass schon entdeckt ist. Das Ber-

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