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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 19.1928-1929

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Heft 2/3
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Vogt, Karl Anton: Der Krieg: Ein Chorspiel
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https://doi.org/10.11588/diglit.47219#0045

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Der Krieg
Ein Chorspiel
Karl Vogt
Vorwort
Für den Sprechchor ist es erforderlich, die
chorische Sprechgestaltung mit einer Be-
wegungsgestaltung zu verbinden.
Das gesungene Wort erscheint als absolute
künstlerische Form. So ist es vom Ursprungs-
erlebnis entfernt, von diesem abstrahiert. Im
Gegensatz dazu ist das gesprocheneWort noch im
Irdischen verhaftet. Es bedarf, um wahr und
lebendig zu erscheinen, der Entwicklung aus
den Antrieben des Körpers. So ist es not-
wendig durchblutet. So wirft das gesprochene
Wort, entwickelt aus dem Bewegungsimpuls,
das Spiel von Gefühl und Willen in die Klarheit
des Bewußtseins empor. In die Sprache. Mit
der Entwicklung des Wortes aus der Bewegung
wird auch die überall sich vordrängende Gefahr
vermindert, daß das Wort als Träger seiner
Bedeutung, also intellektuell, also unkünstlerisch
geformt wird. Diese Gefahr zeigt sich überall
bei den Veranstaltungen der Sprechchöre und
auch des Theaterspiels. Schon einfache Satz-
inhalte werden demonstriert, der Sinn der
Sätze, die Bedeutung der Worte wird vom
Schauspieler oder vom sprechenden Chor aus-
gemalt; niemand begreift, wie überflüssig dieses
Bemühen ist. Der Inhalt der Worte an sich
ist fast immer so einfach, daß seine überdeut-
liche intellektuelle Gestaltung nur Verdruß er-
regen kann. Zu gestalten ist der Gefühlsinhalt
und der Rhythmus der Worte, der Sätze, der
Satzbeziehungen, der Szenen, der Akte. Dann
kommt künstlerische Wirkung erst zustande,
dann wird statt Betonung Tonfall geformt, statt
zerpflückter, falsch ausmalender Worteinzelheit
ein Ganzes. Im Wechselspiel von Ton und
Bewegung ermöglicht sich erst die Blutnähe,
die aus dem Laienspiel des Sprechchors das

Werden einer kollektiven, neuen, zeitgemäßen,
monumentalen Kunstform erhoffen läßt.
„Der gespaltene Mensch“ von Bruno Schönlank
versucht auf direktem Darstellungswege, ohne
Redseligkeit, das Material für den Sprechchor
zu geben. Er schuf in seiner Diktion, in der
Formung seiner Worte und Sätze, jene knappen,
prägnanten Bildungen, die — geschult an dem
Vorbilde des größten neueren deutschen Sprach-
genies August Stramm — nicht nur dem Tempo
und dem Konzentrationsbedürfnis der Zeit ent-
sprechen, sondern die auch die denkbar beste
Unterlage für eine sprachrhythmische Gestaltung
bilden.
Die Aktivierung des Publikums, die seit Jahr-
zehnten von Instinktbegabten geahnt und von
allen Theaterreformern gefordert wird, ist durch
die geformten Sprechchöre zu erreichen.
Der hier folgende Auszug meiner Sprechchor-
Dichtung ist auf Grund meiner praktischen
Erfahrungen mit dem Sprechchor der Volks-
bühne entstanden.
I. Teil
Bühne offen — dunkel — anmaßender Trommel-
wirbel, einmal, zweimal, dreimal, viermal — da-
zwischen immer eine tiefe, drückende Stille.
CHOR: Die Kinder können nicht schlafen
In Deutschland
Sie fühlen ....
Die Kinder können nicht schlafen
In Rußland
, Sie ahnen ....
Die Kinder können nicht schlafen
In Frankreich
Sie ängsten ....
Die Kinder können nicht schlafen
In England
Sie grausen ....
Europas Kinder sind friedlos.
Fühlen das Drohen
Opfer unmenschlich unmenschlicher Greuel.
EIN JUNGE (steht plötzlich in fahlem Licht im
Hemdchen):
Mutti!
EINE FRAU: Was denn, mein Junge?

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