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Deutscher Nationalverein [Hrsg.]
Wochen-Blatt des National-Vereins — 1866/​1867 (Nr. 69-123)

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No. 115 - No. 119 (1. August 1867 - 29. August 1867)
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926

Zerstücklung einer großen, mächtigen Nation in so viele Bruchtheile
degradirte die Gesammtheit, wie den Einzelnen; nur der unverwüst-
lichen Zähigkeit und Lebenskraft des deutschen Charakters ist es zuzu-
schreiben, daß wir nicht Polens Schicksal theilten. Dazu kommt noch,
daß alle diese kleinen Staaten, selbst wenn sie wollten, selbst wenn
ihre Fürsten nicht in erster Linie die dynastischen Rechte und Interessen
berücksichtigten, nicht anders können. Es sind eben keine Staaten,
die eine selbstständige, auf sich selbst gestellte Existenz führen können.
Es sind ganz anomale Erscheinungen, die nur auf Deutschlands Boden
gedeihen konnten — und wir haben, Gott weiß es, diese Merkwürdig-
keit theuer genug bezahlen müssen.
Der Zug unserrr Entwicklung geht nach dem Einheitsstaat, das
predigen die Steins am Wege. Wer diese einheitliche Strömung be-
kämpft, der arbeitet nicht für den Bundesstaat, welcher nur als ein
Uebergangsstadium betrachtet werden kann, sondern sür den Particu-
larismus. Der Particularismus hat gezeigt, daß er weder die ein-
heitlichen, noch die freiheitlichen Interessen befriedigen kann, er ist
der Feind Beider. Wozu, diese Frage richten wir an alle ehrliche
Patrioten, den Todeskampf dieses Partikularismus verlängern? Wie
den Kämpfern für die Freiheit in den Kleinstaaten das Pathos geraubt
wurde durch die Kleinheit und Kleinlichkeit der Verhältnisse, die immer
den Sturm im Glas Wasser darstcllten, so geht es auch diesen klein-
staatlichen Rittern. Sie verfallen dem Fluch der Lächerlichkeit.

Zur Reichstagswahlagitatiou.
Zn einer Versammlung der Nationalliberalcn der Provinz
Preußen in Danzig, worin u. A. die Gründung eines Rcformvercins
beschlossen wurde, hielt Herr v. Forckcnbeck eiue läugere
Rede, welcher wir Folgendes entnehmen: „Das Thema, wel-
ches für diese Versammlung ausgestellt ist: „Berathung über
Ziele und Wege der national-liberalen Partei" soll uns nicht
blos für die nächste Gegenwart beschäftigen, sondern nimmt
unsere ganze Thätigkcit für immer in Anspruch. M. H.! Ich
finde es gerechtfertigt, daß eine Trennung der verschiedenen
Elemente innerhalb der liberalen Partei sich vollzogen hat.
Daraus folgt aber nicht, daß die liberalen Elemente sich da
bekämpfen, wo sie nothwendig Zusammengehen müssen. Zu
meiner großen Freude hat man sich denn auch fast überall in
unserer Provinz in Bezug auf die Reichstagöwahlen geeinigt.
Wir wollen nur wünschen und hoffen, daß die gesummte libe-
rale Partei ihre ganze Kraft einsetze und vereinigt überall in
der Provinz durchdringe, damit der Osten unseres Vaterlandes
zum künftigen Reichstage mehr Vertreter des Liberalismus
hinsende, als cs im letzten der Fall war. Wenn ich, meine
Herren, hier kurz noch einmal einen Rückblick auf die Ver-
gangenheit unserer national-liberalen Partei werfe und auf
ihr Verhalten im Reichstage zurückgehen möchte, so thue ich
cs wahrhaftig nicht, um neuen Zwiespalt hcrvorzurufen, son-
dern um unser Verhalten zu erklären und dadurch die Ansich-
ten zu berichtigen. Ich räume ein, meine Herren, daß die
Norddeutsche Bundesverfassung ganz erhebliche Mängel besitzt,
ich behaupte aber auch, daß sie auf der andern Seite große
Vorzüge hat. Ich behaupte ferner, daß, wenn die vereinigte
liberale Partei ihre Ziele nicht weiter sollte fördern können,
dies dann weniger an der Bundesverfassung liegt,
als vielmehr an dem Mangel an Energie und
Thatkraft innerhalb der Partei. Es hat in letzter
Zeit eine Umwälzung unserer öffentlichen Verhältnisse stattgefun-
den, sie sind durch die Einführung des allgemeinen gleichen Stimm-
rechts in ein neues Stadium eingetrcten, und neue, große
Pflichten treten an uns heran. Die Bundesverfassung hat,
es ist wahr, ihre Mängel, aber sie ist nicht so schlecht, daß
sie dem deutschem Volke nicht große Aussichten für die Zu-
kunft gewährte, wenn cs seine Pflichten erfüllt. Der Reichs-
tag vereinigt die Vertreter von 30 Millionen Deutschen und
verleiht dem Liberalismus viel mehr Aussichten zum Siege,
als die bisherige Vertretung von 19 Millionen im preußischen
Abgeordnetenhause gewähren konnte. Wir müssen es offen
gestehen: in den neu hinzugetretenen Theilen sind, wie die
Reichötagswahlen bekundet haben, verhältnißmäßig mehr libe-
rale Elemente vorhanden, als in den alten preußischen Pro-
vinzen. Also schon in dieser Vereinigung von 30 Millionen
Deutschen, wenn sie auch vorerst mit eisernen Klammern zu-
sammengehalten werden, in dieser Repräsentation von 30 Mil-
lionen liegt eine Verstärkung der Kraft des Liberalismus, die

hoch anzuschlagen ist. Der Bundesverfassung fehlt nament-
lich eine genügende Ministcrverantwortlichkeit, und die vier-
jährige Vorausbewillignng des Militäretatö konnte nicht ohne
erhebliche Bedenken erfolgen. Auf der andern Seite, und
das sind Vorzüge, die nicht unterschätzt werden dürfen, räumt
sie dem Parlament das Recht ein, in allen gemeinschaftlichen
Angelegenheiten besser, durchgreifender und spezieller zu wir-
ken, als die preußische Verfassung dies je gewährt hat. Ich
erwähne in dieser Beziehung nur das Handels- und Wechsel-
recht — Fragen, welche für die Existenz jedes Einzelnen
von Einfluß sind. Früher, bei der zersplitterten Gesetzgebung
in den einzelnen Ländern, wurden die Gesetze von den Regie-
rungskommissionen vorbereitet, unter ihnen vereinbart und
dann schließlich den Volksvertretungen vorgelegt, welche sie
nur entweder im Ganzen annehmcn oder ablehnen konnten.
Ein zweiter Vorzug der Bundesverfassung ist das Steuerbe-
willigungsrecht: es ist ein besseres und durchgreifenderes, als
das des preußischen Abgeordnetenhauses, weil es nicht blos
die direkten Steuern, sondern auch das ganze Gebiet der
indirekten Steuern der Abstimmung des Reichstages un-
terwirft. M. H.! Das sind erhebliche Vorzüge, und ich wie-
derhole noch einen großen Vorzug, der von der Fortschritts-
partei vielfach bestritten ist: das ist der, daß sie gegenüber
den deutschen Fürsten eine Macht organisirt hat unter dem
Präsidium des mächtigsten Fürsten, unseres Königs, und dieser
unmittelbar gcgenübergcstellt die Repräsentation des deutschen
Volkes ohne Standcsuntcrschiede, ohne Vertretung nach Klas-
sen: daß sie kein Herrenhaus keimt. Aber, möchte man wohl
erwidern, der Bundcsrath ist ein wett schlimmeres Herren-
haus! M. H.! Es ist nicht richtig, was Jene behaupten:
die Herren vergessen, daß die deutschen Fürsten immer ein
absolutes Veto hatten, und daß in den deutschen Staaten,
welche jetzt im Reichstage vereinigt sind, zwischen den Fürsten
und den Vertretungen des Volkes die ersten Kammern mit
bevorzugter Repräsentation standen. Ich erwähne ferner, daß
die kleinen deutschen Fürsten, wenn sie überhaupt noch ihre
Existenz fristen können, dies nur dadurch erringen können, daß
sie sich bestreben, innerhalb des BundeSrathes den Forderun-
gen der Nation gerecht zu werden; man kann also nicht sa-
gen, der Bundesrath rcpräsentire ein Herrenhaus, sondern
man muß zugeben, den Fürsten gegenüber steht unmittelbar
die Repräsentation des Volkes. — M. H.! Ich habe schon
erwähnt, daß die Bundesverfassung uns große Opfer aufcrlegt:
sie verlangt ein Kriegsheer von 300,000 Mann und 13,000 Of-
fizieren und an Kosten für dieses Heer 225 Thlr. pro Kopf.
Aber, m. H., die gegenwärtigen Zeitvcrhältnisse gebieten diese
Opfer. Wenn wir sehen, wie jede kleine Frage, welche die
deutsche Einigung ihrem Ziele näher führen soll, vom Aus-
lande neidisch angesehen wird, dann können wir uns der An-
sicht nicht verschließen, daß die deutsche Einigung nicht zu
schaffen ist ohne Lasten und Anstrengungen, und daß wir nur
im Stande sind, sie ohne Einmischung des Auslandes und
ohne Kriege zu vollziehen, wenn wir ihm gerüstet mit der
ganzen Kraft der Nation gegenüberstehen. Es gilt hier das
alte Wort: Wenn Du den Frieden willst, dann bereite den
Krieg vor. Lieber wollen wir größere Lasten tragen, als die
Provocirung des Auslandes Hervorrufen; das ist der Grund,
weshalb ich unter den obwaltenden Verhältnissen der Forde-
rung der Regierung nachgegeben nnd für Bewilligung des
Militäretats bis zum Dezember 1871 gestimmt habe. M. H.!
Abgesehen von der vorübergehenden Last, welche dies Inte-
rimistikum uns auflegt, sind die Bestimmungen über das Heer-
wesen in der norddeutschen Bundesverfassung in mancher Be-
ziehung besser, als die, welche wir gehabt haben. Allerdings
ist als ihre Grundlage die Armee-Reorganisation, welche der
jahrelange Gegenstand des Streites zwischen dem preußischen
Ministerium und Abgeordnetenhause war, eingeräumt worden,
aber unter mehrfachen Modifikationen. Erstens ist ein Pro-
zent der Bevölkerung zur Aushebung bewilligt. Es gewährt
dies allerdings den alten Provinzen P«ußenö keine erhebliche
Erleichterung, aber es vermindert doch den bisherigen Bestand
von 213,000 Mann (die Bewohnerzahl der alten Provinzen
 
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