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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 29,4.1916

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Heft 20 (2. Juliheft 1916)
DOI Artikel:
Stapel, Wilhelm: Konstantin Frantzens Mitteleuropa und F. W. Foersters Europa
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Ullmann, Hermann: Gustav Freytag: zum 13. Juli 1816
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https://doi.org/10.11588/diglit.14294#0086

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das Christentuin einstweilen in die Ecke zu stellen und dem Iammer der
Menschheit ruhig zuzusehn! Wer verlangt das? Im Erziehen kann man
das Christentum ebensowohl anwenden wie im Organisieren. Christus
kam „als die Zeit erfüllet war". Erfüllt die Zeit für eine Welt-
organisation, dann wird sie ohne Machen kommen und wird dauern.
Ein radikal neuer Bau der Liebe und Güte hielte, selbst wenn er gelänge,
auf dem dunklen Grunde der Selbstsucht nicht lange stand, er würde bald
zusammenbrechen, und die Zeiten würden ärger denn zuvor. Der Natio-
nalismus soll nicht hinwegdisputiert oder den Menschen „abgewöhnt^,
er soll veredelt und versittlicht werden. Das versuchten die Propheten des
Alten Testaments in Israel, das versuchte Fichte bei uns. Noch sind wir
nicht über sie hinausgekommen. Wilhelm Stapel

Gustav FreyLag

Zum 13. Zuli 1816

.^^icht die Zufälligkeit einer Geburtstagswiederkehr allein, auch unsre
D/ / Gegenwartserlebnisse bringen uns den Schlesier mit dem starken
^ ^preußischen Staatsbewußtsein, dem lebendigen Volksgefühl und dem
freudigen Erzieherwillen besonders nahe. Seine männlich-lautere und
liebevoll-warme Art, das Schicksal von Volk und Staat tätig, helfend, klä-
rend mitzuerleben, ein anßerordentlich einheitliches Zusammenwirken der für
unser Volk so bedeutsamen Zeit und des Mannes machten aus ihm einen
der treuen Führer zu deutschem Wesen. Keinen ganz großen Dichter;
viele, in deren Rang er als Führer steht, übertreffen ihn an Nnmittelbar-
keit des dichterischen Empfindens wie an Fülle und Kraft der Phantasie.
Und wenn wir bei der Erinnerung an ihn auch an Keller und Raabe,
Uhland und Storm denken, so ist's nicht um künstlerisch gleicher Werte
willen, sondern jener tüchtig-innerlichen Art, jener deutschen Sittlichkeit
wegen, die in den Systemen unsrer großen Denker nicht minder lebt wie
in den täglichen Leistungen des einfachen Mannes, sofern er zum Kern
der Nation gehört. Denken wir uns eine kleine Grund- und Hausbücherei,
die jeder Deutsche verarbeiten sollte, so steht in ihr Freytag neben jenen
Reicheren, Begabteren und neben manchen andern Größeren als er.

Recht als der Kolonialdeutsche des Ostens neben Deutschen der alten,
altgepslegten Muttererde. Wir können uns kein besseres Abbild jener
deutschen Sonderart denken, die auf dem spätgewonnenen Neuland im
Kampfe mit slawischer Formlosigkeit und jnngfräulicher Nrnatur zu einer
Zert sich bildet, da das übrige Deutschland die Fülle alter überströmender
Kräfte in der Enge seiner Gegensätze, Widersprüche und Grenzen nicht
mehr zu fassen vermochte. Die Frische und unbekümmerte Tüchtigkeit dieses
Kolonialstammes, das Herrenbewußtsein und Verantwortungsgefühl von
Männern, die sich in der Berührung mit weniger entwickelten Zuständen
und mit fremder Art aus ihre ererbten und erworbenen Werte besonnen
haben, das stolze Unabhängigkeitsbewußtsein des Bauern, der sein kleines
Reich aus Moor und Urwald gerodet hat und an den Grenzen oder mitten
im fremden noch gestaltlosen Volke durch seine sesten Lebensformen und
treue Arbeit ein Beispiel gibt, eine gewisse Beweglichkeit auch, die eben
die Berührung mit dem Fremden und die Erprobung in neuen, ost aben-

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