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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 29,4.1916

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Heft 22 (2. Augustheft 1916)
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Schumann, Wolfgang: Max Schelers "Genius des Krieges"
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Marsop, Paul: Wie steht es um die deutsche Theaterkritik?
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https://doi.org/10.11588/diglit.14294#0183

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Fragen würdig und fruchtbar behandelt werden mögen. Auch zu diesen
darf man den „Genius^ rechnen.

Aber unrecht täte man fast dem leidenschaftlichen Wahrheitsucher, der
in diesem Werk trotz aller Abweichungen vom geraden Weg des Forschers
immer wieder rücksichtlos und demütig zur Erkenntnis drängt, wollte man
sich damit begnügen, ihm seinen Geistreichtum, seine „Bedeutung", seine
'glänzende Schreibweise auf Grund eines Gefühleindrucks zu bezeugen. Er
darf verlangen, kritisch gelesen zu werden, sonst wäre sein Buch heute ein
gar kleines Ereignis, denn es gilt nicht, geistigen Wirrwarr und heiße
Herzen zu erzeugen, während der Weltkrieg die Welt neu bildet. Sollte
selbst kein Zehntel, kein Zwölftel der Erkenntnisse Schelers sich als beständig
erweisen, sein Werk würde doch bedeutsamer gewirkt haben, wenn sich hun«
dert Leser klar gemacht hätten, warum dies so sei, als wenn zehntausend sich
ästhetisch daran erbauen. sm^ Wolfgang Schumann

Wie steht es um die deutsche Theaterkritik?

it dem jüngst in diesen Blättern veröffentlichten Aufsatz „Der

Weltkrieg und die deutschen Bühnen^ erbrachte ich den Nachweis,

zux Aeit des gewaltigsten von der Geschichte bisher verzeich-
neten Streitens für deutsche Kulturgüter unsere Theaterleiter so gut wie
versagten und die unter ihrer Obhut stehenden Anstalten an dem machtvollen
allgemeinen Aufschwung der Geister alles in allem nur einen kümmerlichen
Anteil hatten. Nahe liegt die Frage: weshalb erhob die Kritik, als be-
rufener AnwalL einer hochstrebenden vaterländischen Kunst, ihre mahnende
und anfeuernde Stimme nicht?

Einige Kunstrichter, und zwar mit die gewissenhastesten und kenntnis-
reichsten, standen alsbald im Felde. Andere duckten sich vor dem schwan-
kenden Begriffe des „Burgfriedens^, den, wie auf verschiedenen anderen
Gebieten so auch im Bühnenbereich, alle Gesellen mit durchlässigem Ge-
wissen wacker ausnutzten, um im Trüben zu fischen, während sich anständige
Leute in mehr oder minder irriger Ausfassung jenes Begriffs eine heilsam-
ofsenherzige Meinungsäußerung verschränkt wähnten. Noch weniger be-
hagte es natürlich moralisch wurzelfaulen Angehörigen der Rezen-
sentengilde, frei von der Leber weg zu sprechen. In der Hauptsache lief
es indessen darauf hinaus, daß uns eine autoritative Theaterkritik
seit längerem sehlt.

Der nicht überstarke, doch auch nicht zu unterschätzende Einsluß, über
den insbesondere die ihrer Sache gewachsene Schauspielkritik noch vor
zwanzig bis dreißig Iahren verfügte, hat ungefähr in dem Maße abge-
nommen, in dem das unüberlegte Einbeziehen jedweder szenischen Betäti-
gung in den Kreis der Gewerbesreiheit und das wilde Aberwuchern einer
vom Staat mit wohlwollender Neutralität geduldeten Agentenwirtschaft für
den Bühnenbetrieb eine Zeit der industriellen Hochspannung und des
Schleuderverschleißes heraufführten, eine Periode, in der sich auch, wie
man zu sagen Pslegt, „vornehmere" Hof- und Stadttheater srischweg zu ge-
schäftlichen Nnternehmungen mit Dampfbetrieb umwandelten. Da mangelte
es bald an ausreichender kritischer Obsorge. Man konnte nach Belieben
schlechte Schmieren, aber nicht Dutzende von guten Kritikern aus der Erde
stampfen. Zumal, da sich die Natur nicht gebefreudig zeigte. Der für
 
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