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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 29,4.1916

DOI Heft:
Heft 21 ( 1. Augustheft 1916)
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Avenarius, Ferdinand: Heinrich Steinhausen: zum 27. Juli
DOI Artikel:
Erdmann, Karl Otto: Proteus Schopenhauer: auch ein Kongreß-Nachklang
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https://doi.org/10.11588/diglit.14294#0135

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und legte das Blatt sehr unerregt beiseite. Aber die Frage, von der da
gesprochen war, fragte dann gelegentlich unerwartet aus dem Leser heraus
wieder an: was denkst d u eigentlich dazu? Sie war nicht in den weg-
gelegten Blättern, sie war bei ihm, dem Leser, geblieben.

Abseit von den Majoritäten und Minoritäten in Literatur und Kunst,
abseit der Zeitungsfeuilletons, abseit der Salons und der Kaffeehäuser
gibt es, wenn's auch kaum glaublich klingt, auch noch eine deutsche Kultur.
Sogar eine, die sich bewegt. Eine, welcher der Novitäten-Wert gleichgültig
ist, weil sie den Fortschritt nicht in irgendwelcher Hereinziehung von neuen
Mitteln erkennt, und wären's gestopfte Hörner, aber eine, die eine Weiter-
entwicklung des Seelischen wünscht, nur: ohne Verlust an früher crworbe-
nem Seelengut. Die Tagfälligen mögen solche Leute nicht, und wenn sich
zeigt, daß die Nicht-Tagfälligen auch dem einmal vorgearbeitet haben, was
sich dann durchsetzte, so legen sie kein Gewicht darauf, das zu wissen. Wer
weiß denn heute noch, daß die ihrer Zeit unsre gesamte deutsche ff-Bildung
entzückende Georg Ebers-Agypterei von keinem anderen als von Stein-
hausen am frühesten und am schwersten verwundet worden ist? Ihre da-
maligen großen Leuchten übersahen sein „Memphis in Leipzig" teils mit
vornehmem Schweigen, teils wiesen sie es mit Entrüstung über den
Dünkel dieses jungen Mannes ab. Kamen sie bald darauf zu derselben
Meinung, so kamen die dazu, versteht sich, aus sich selber. Als Stein-
hausen seine „Zufälligen Herzenserleichterungen" schrieb, schrieb er damit die
ersten satirischen Kritiken über die damalige Modeschreiberei, ich kann mich
aber nicht erinnern, daß die Revolutionäre der Litera^ur von diesem Vor-
Revolutionär jemals auch nur gesprochen hätten. Man wußte auch in
ihren Kreisen von Heinrich Steinhausen wirklich so gut wie nichts. Noch
ein drittes Beispiel: Steinhausen war es, der mit seinem Kunstwart-Auf-
iatze „Das Bauernhaus" schon im Sommer f889 auf das Versäumen und
Verschulden am Bauernhause, am deutschen Dorse zum ersten Male mit
Nachdruck und mit Erfolg hinwies.

Heinrich Steinhausen schulden viel mehr Menschen Dank, als ihm nach
seinem stillen Schöneiche bei Friedrichshagen zum Achtzigsten gratulieren
werden. Viel mehrere, als seine Bücher gelesen haben. Nnd viel mehrere,
als auch nur von ihm wissen. A

ProLeus Schopenhauer

Auch ein Kongreß-Nachklang

^^^^aupassant erzählt einmal (was er selbstverständlich als Dichtung
^V^/und nicht als Wahrheit aufgefaßt wissen will): er sei in Mentone
^^^einem schwer lungenkranken Deutschen begegnet, der immer in
Schopenhauers Werken las, und zwar in einem Exemplare, das aus dem
Besitz des Philosophen stammte und ganz mit Randbemerkungen aus dessen
Hand bedeckt war. „Ich nahm das Buch" — so schreibt Maupassant — „mit
Ehrsurcht zur Hand und betrachtete diese mir unverständlichen Zeichen, die
die unsterblichen Gedanken des größten Traumzerstörers enthüllten, der je
über die Erde gewandelt ist. Durch eine seltsame Ideenverbindung traten
mir Verse Mussets über Voltaire ins Bewußtsein. Nnd unwillkürlich ver-
glich ich den kindlichen, ja religiösen Sarkasmus Voltaires mit der un-
erbittlichen Ironie des deutschen Philosophen, dessen Einfluß für alle
Zeiten unauslöschlich ist. Man kann sich dagegen auflehnen, man kann sich
 
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