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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 29,4.1916

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Heft 19 (1. Juliheft 1916)
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14294#0048

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Vom Aeute fürs Morgen

Zur Neichskanzler-Nede

vom 5. Juni

n den Schluß unsers vorigen
tzeftes haben wir ein paar
Worte des Rembrandt--Deutschen
über „Unscheinbarkeit beim Politi-
ker" gestellt. „Wie diejenige Frau
die beste ist, von der man am wenig-
sten spricht, so ist auch derjenige
Politiker der beste, der seine Per--
sönlichkeit als solche am wenigsten
in den Vordergrund drängt.^ Da
habt ihr's ja, sagen die Gegner
Bethmanns: „drängt dieser Reichs-
kanzler seine Persönlichkeit nicht
in den VordergrundDas Heran--
ziehen der Iunius--Alter--Schrift
läßt sich so deuten. Der Kanzler
scheint naheliegende Wirkungen
übersehen zu haben, wie seinerzeit
bei dem Wort vom Unrecht gegen
Belgien. War es so? Oder sah
Bethmann vielleicht in beiden Fäl-
len weiter, als er nicht nur den
Berechner, sondern den ganzen
Menschen „gehen ließ^? Ich für
mein Teil glaube das. Und wenn
Langbehns Wort wie alles Geist--
reiche für die Mehrzahl der Fälle
gilt, für viele gilt es auch wieder
nicht. Wir brauchen in neunund-
neunzig Fällen den unauffälligen
Diplomaten, den Politiker, der ganz
hinter seine Arbeit zurücktritt. Aber
an der wichtigsten Stelle brauchen
wir, wenn sie gefährdet ist, den, der
vor sie tritt, er der Mensch, und
dadurch allen die unmittelbare Ge-
wißheit gibt: es ist ein Mann,
der die Organe der Regierung be-
wegt, es ist nicht ein Schema, das
eine Mechanik regelt.

Die politische Privatlitera-
tur dieser Monate als solche hat
Bethmann in seiner Rede nicht an-
gegriffen. Sie war notwendig,

da die öffentliche Besprechung von
wichtigsten Fragen durch die Kriegs-
verhältnisse unmöglich war, denn
jene Fragen mußten wenigstens von
dem Kreise der Interessierten durch-
dacht werden. Nun zeigte sich der
schwere Mißstand, daß man sie nicht
besprechen konnte außer in pri-
vaten Kreisen. Ein Umstand, der
das Verantwortlichkeitsbewußtsein
ihrer Verfasser aufs höchste hätte
steigern müssen, Fanatiker aber sind
ja selten sehr gescheit, fühlen sich
also ihrer Sache stets gewiß und
sagen um so „offener" „die Wahr-
heit", je weniger sie das öffentlich
tun können und also auch durch
öffentlichen Widerspruch im Zaume
gehalten werden. Da man ihnen
jetzt nicht entgegentreten kann, so
„bleiben" ihre Sätze. Es ist dring-
lich, daß eine weitere Freigebung
der Zensur die Verarbeitung
dieser Schriften in der öffentlichen
Meinung möglich macht.

Wichtig scheint uns, was und
scheint uns schon: daß überhaupt
der Kanzler gegen das „alte
Schema von den nationalen
und antinationalen Par-
teien" sprach. Das war vom Re-
gierungstische aus das erste ein-
deutig klare Auftreten dagegen.
Ehedem konnte man es nur für
eine Unverschämtheit halten, wenn
gute Iungen und jungenhaft geblie-
bene Alte meinten, wie sie das
Deutschtum fühlten, so sei's allein
das rechte. Wer auch im Kriege
noch nicht gelernt hat, daß jeder
Bürger des deutschen Staatsverban-
des in Sachen eben dieses deutschen
Staatsverbandes als Deutscher mit-
zählt, und daß es unbedingte Not-
wendigkeit ist, ohne Vergewaltigung
und ohne Beleidigung miteinander
auszukommen, der ist wohl vor allem

3^
 
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