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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 29,4.1916

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Heft 24 (2. Septemberheft 1916)
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Vaterländische Gesinnung und Schule
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Vorübergehend geräumte Stellungen, die wir wiedergewinnen müssen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14294#0293

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keit und Sachlichkeit, deutlich widerspricht. Durch dieses Beste sind wir
zu dem geworden, was wir innerhalb der Völker sind, und so haben wir
wahrhaftig keinen Grund, es zu schwächen. sm^

Vorübergehend geräumte Stsllungen, die wir wieder-

gewirwen muffen

^^-^^ir kamen aus Rußland. Nach Monaten harter Entbehrnng hatten
T Hwir endlich wieder einmal Gelegenheit, uns für unser Geld etwas
zu Eaufen, und da die Seelenstimmung eines Soldaten recht ab-
hängig ist auch vom Essen und Drinken, so saßen wir froh und zufrieden
in dem Bahnwagen, der uns durch unser Vaterland nach einem andern
Kriegsschauplatze stuckerte. Eifrig kreiste die Kognakflasche. Ich wollte
die Runde nicht mitmachen, darum neckten nnd hänselten sie mich. Schließ-
lich stand ich ihnen doch Rede und Antwort. Ia: die Pflicht zur Ge-
sundheit des Einzelnen könne jemand wohl zwingen, mäßig zu sein,
nicht aber völlig enthaltsam. Die Pflicht zur Gesundheit des Volks-
ganzen aber fordere völlige Lnthaltsamkeit. Ich führte kurz aus,
welch große Not durch den Alkohol über das Volk gebracht wird, und daß
dieser Not nie durch Predigen von Mäßigkeit begegnet werden könne,
sondern nur durch den freien, werbenden Lntschluß vieler, völlig auf diese
Genüsse zu verzichten. Da sagte einer: „Prost!", nahm einen Schluck und
brachte die Rede aus etwas anderes.

Ein zweites Bild : Bei der großen französischen Offensive in der Eham-
pagne hatten wir in Reserve gelegen, und als die Franzosen vorn durch-
gebrochen waren, Lrieben wir sie zurück. Dann lagen wir fünf Tage und
fünf Nächte in einer verlassenen Artilleriestellung, fünf Tage und fünf
Nächte im Granatfeuer. Ich war in einem kleinen Unterstand zusammen
mit dem Kompagnieführer und dem Kameraden und Vizefeldwebel, den
meine Alkoholgegnerschaft ärgerte. Bei Nacht konnte wohl aus großer
Entfernung Essen und Kaffee von der Feldküche geholt werden. Natürlich
erhielten wir alles kalt. Wir verdämmerten in tiefer Erschöpfung und
stumpfer Gleichgültigkeit die qualvoll langen Stunden. — Da bringt
uns in einer Nacht der Bursche des Kompagnieführers eine Flasche Wein.
In die Augen kommt ein Leuchten. Die Flasche geht herum und ich nahm
auch meinen Schluck. Ich hatte in jenem Augenblick das Gefühl: du tust
Nnrecht, wenn du jetzt durch ein Ablehnen an die Alkoholfrage und
unsre Meinungsverschiedenheiten darüber erinnerst.

Aus Briefen meiner Studienfreunde, von denen sehr viele vor dem Kriege
abstinent waren, weiß ich, daß fast alle im Felde als Offiziere die Absti-
nenz aufgegeben haben. Sie wurden ihren früheren Grundsätzen ungetreu
nicht nur unter solchen Nmständen, wo ein natürlicher Zwang bestand —
etwa wenn wegen der Seuchengefahr nur Tee getrunken werden durfte, der
eineu mehr oder weniger starken Zuschuß an Rum hatte —, sondern auch
unter dem Zwange, der von dem Worte „Kameradschaftlichkeit^ ausgeht.
Freilich gibt kein geschriebenes Recht „dem Korps" Gewalt über das
Tun und Lassen in Dingen, die doch eigentlich „Privatsache" sein sollten:
wenn aber „die anderen" es als eine Pflicht der Kameradschaftlichkeit
ansehen, daß man sich ihren Sitten und Anschauungen fügt, dann
kommen auch manche Charakterfeste um der Kameradschaft willen zu einem

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